Eisbaden und Eisschwimmen in Tirol

"Verkühle dich täglich"

Geht man heutzutage im Winter an einem Tiroler See spazieren, kommt man nicht um folgendes Bild: Da machen sich doch tatsächlich ein paar Badegäste bis auf Pudelmütze und Badeanzug nackig, schreiten zwischen Eisschollen hinweg ins Wasser, um dort wie in Trance minutenlang zu verharren. Der reinste Horror für die meisten von uns, doch diejenigen, die Eisbaden schon probiert haben, schwärmen von einem Quell der Lebensenergie und Gesundheit. Zahlreiche Workshops gibt es mittlerweile. Auch das Silvesterschwimmen am Achensee ist fast schon Tiroler Tradition. Falls jemand noch nach dem richtigen Neujahrsvorsatz sucht, FREIZEIT-TIROL zeigt euch, was dran ist an dem eisigen Trend und hat die zwei Kälte-Profis Gerald Daringer und Daniel Fetz zum Interview gebeten.

Der gebürtige Linzer Daniel Fetz ist 2-facher Wakeboard Weltmeister, jahrelang hat er sich mit Strategien zur Leistungssteigerung beschäftigt, hat vieles probiert, bis er mit dem Eisbaden und mit Atemfitness sein perfektes Trainingstool gefunden hat, dem er seine sportlichen Erfolge auch verdankt. Heute führt er Interessierte in seiner Fetzys World in Steyregg sowie in der AREA 47 im Ötztal in die Welt des Eisbadens ein, und er genießt es nach wie vor.

Gerald Daringer, seit 30 Jahren wohnhaft im Stubaital und ebenfalls aus Oberösterreich, ist Professor für Sportwissenschaft an der Uni Innsbruck sowie Extremsportler und gilt aktuell als „bester Eisschwimmer Österreichs“. In seiner Firma AQUA and ICE bietet er am Achensee und Hintertuxer Gletscher Eisschwimm-Workshops für alle, die sich der Herausforderung stellen wollen. Zu seinem eisigen Hobby fand er aus gesundheitlichen Gründen. Er hatte chronische Schmerzen, Eisschwimmen und Kältetherapie haben ihn vor einer Knieprothese bewahrt.  

Daniel und Gerald, warum tut man sich das an? Das ist ja eigentlich ein Handeln gegen den eigenen Instinkt. Was sind die positiven Effekte?

Daniel: Da gibt es wirklich viel Positives. Eisbaden fördert die Durchblutung, trainiert das Nervensystem. Es wird einem nicht mehr so schnell kalt. Es wirkt – durch die Ausschüttung von Adrenalin – entzündungshemmend. Es ist ja eine lebensbedrohliche Situation, ein bewusster Stress, dem man sich aussetzt. Man spricht von einem „hormetischen Reiz“ – ein bisschen Schaden, der aber nicht schädigt, sondern wodurch der Körper sich verbessert und optimiert. Nach einem Eisbad produzieren wir nachweislich mehr weiße Blutkörperchen – die „Kriegerzellen“ in uns, die wichtig sind fürs Immunsystem. Wir produzieren mehr Braunfett, das als wichtiger Akteur im Kampf gegen Übergewicht oder Diabetes gilt, da es Kalorien verbrennt, anstatt sie zu speichern. Ein ganz wichtiger Aspekt in der heutigen Zeit: Wenn man lernt, mit dem Stress im kalten Wasser umzugehen, kann man auch im Alltag besser mit Stress umgehen. Zudem werden viele Glückshormone ausgeschüttet. Wenn man öfter ins kalte Wasser geht, hat man mehr Lebensenergie – und das berichten ganz viele Eisbadende!

Gerald: Als ich begonnen habe ins Kalte zu gehen, war nur drinnen sitzen gleich mal langweilig für mich. Im Eiswasser zu schwimmen, also Leistung zu bringen, ist eine zusätzliche Anforderung, die sämtliche positive Effekte noch verstärkt und die es ermöglicht, durch die Bewegung im Wasser Kontrolle zu den Vorgängen im Körper zu erlangen. Es geht um das Naturerlebnis, aber auch um die Energie, die aus dem Stolz entsteht, etwas zu können, das nicht vorgesehen ist. Wir Menschen haben in der heutigen Zeit so viel verlernt: sich richtig zu konzentrieren, ohne Ablenkung zu sein, ganz bei sich zu sein. Durch das Extrem und den Schock beim Eisschwimmen hat dein Körper so viel zu tun, weil er eigentlich nicht da drin sein will, da musst du ganz viel eigene Kontrolle übernehmen um das aushalten und genießen zu können, du musst ganz bei dir sein. Das zu schaffen, das bringt eine unheimliche Befriedigung und innere Stärke.

Man liest im Zusammenhang mit Eisbaden aber schon von Gefahren bis hin zum möglichen Herzstillstand. Kann jeder einfach so drauflos legen oder ist das nur was für Trainierte, oder Junge?

Daniel: Also viele alte Eisbader über 70 oder sogar 80 Jahre in meinen Kursen stellen sich sogar besser an als junge, die sind anders aufgewachsen, ohne Funktionskleidung und Fußbodenheizung, sind noch weniger verweichlicht. Grundsätzlich ist der Körper für das gemacht. Wenn wir das nicht könnten, zwei Minuten in der Kälte, dann wären wir schon ausgestorben. Eine Grundgesundheit sollte man schon mitbringen. Über Blutdruck 160 sollte man generell vorsichtig sein. Wenn man sich unsicher ist, bitte vorab den Arzt konsultieren. Aber ich hatte auch schon viele Leute im Kurs, die Krankheiten damit bekämpft und geheilt haben, eine Frau über 70 mit schwerem Rheuma hat das regelmäßig gemacht zusammen mit den Atemübungen, und nach etwa drei Monaten war sie gesund. Generell gilt: Die Dosis macht das Gift. Auf keinen Fall darf man zu lange im Wasser stehen. Weniger ist mehr beim Eisbaden – es geht um den kurzen Reiz! 2 bis 4 Minuten reichen bei Ungeübten völlig aus, das ist kein Wettbewerb. Oft „klicken“ die Glückshormone ein und man bleibt zu lange im Wasser, aber abgerechnet wird später. Hinterher zittert man sonst extrem lange und speichert das Erlebnis vielleicht gleich negativ ab.

Gerald: Erlernen immer unter professioneller Aufsicht, nie einfach so ausprobieren. Und vorher bei einem Arzt das gesundheitliche Okay abholen. Auch Eisschwimmen ist für alle geeignet, die laut Voruntersuchung körperlich gesund sind. Natürlich gibt es Gefahren, wie überall bei extremen Sportarten. Der Körper darf nicht zu weit abkühlen. Du solltest auch niemals einfach ins eiskalte Wasser springen, sondern den Körper graduell anpassen. Man muss unbedingt auf den eigenen Körper hören. Aber auch mit der Dauer im Wasser kann man sich ruhig etwas zutrauen, weil unser Körper schreit immer deutlich zu früh, obwohl man es wirklich länger aushalten kann. Man muss aus seiner Komfortzone heraus, ein bisschen über seine Grenzen hinaus stoßen, das ist Training.

Wie läuft ein Eisbade-Workshop mit euch ab?

Daniel: Ein Hauptteil vom Workshop ist tatsächlich das Atmen bzw. Atemtechnik. Das kann man auch super im Alltag integrieren. Die ersten vier Stunden beschäftigen wir uns mit dem richtigen Atmen und wie das gegen zum Beispiel Bluthochdruck, Asthma oder Panikattacken helfen kann. Erst danach kommt die Theorie zum Eisbaden und dann geht’s gemeinsam ins Kalte, und da bietet die AREA 47 eine traumhafte Kulisse.

Gerald: Auch bei mir kommt zuerst eine gute Stunde Theorie, Risiken ect., dann üben wir Atemregulation und Mindset-Strategien, erst danach machen die Teilnehmer:innen Schwimmerfahrungen unter meiner Aufsicht. Sie werden mit allen Infos zum selbständigen Tun ausgestattet und ich begleite.

Was muss ich als Laie beachten, wenn ich ins kalte Wasser gehe?

Daniel: Man sollte sich langsam herantasten. Du könntest zum Beispiel auch erstmal nur mit kalten Duschen anfangen. Am besten beginnt man das Eisbaden schon im Herbst, wo die Temperaturen noch nicht ganz so niedrig sind. Davor sollte man sich leicht körperlich aufwärmen. Wenn es sehr kalt ist, müssen besonders Füße, Hände und Kopf geschützt werden. Das heißt Haube, Neopren-Badeschuhe und Handschuhe, oder die Hände unter die Achseln im Wasser. Anfangs keinesfalls alleine, in der Gruppe ist es auch leichter. Man muss sich „hineinentspannen“ ins Wasser. Nur die ersten 30 bis 60 Sekunden sind hart, dann, wenn die Atmung sich beruhigt hat, merkt man, dass es gut ist. 8 Grad Wassertemperatur ist die beste für den Zellstoffwechsel, zwischen 4 bis 12 Grad hast du aber einen ähnlichen Effekt. Für mich geht es darum, den eigenen Zen-Moment zu finden. Summen oder Brummen ist dabei hilfreich, und auf die ruhige Atmung konzentrieren. Und wie gesagt, für Ungeübte reichen 2 Minuten in 10 Grad kaltem Wasser völlig aus! Für Geübte gilt die Faustregel: So viel Grad das Wasser hat, so viele Minuten darf ich theoretisch im Wasser bleiben. Wenn man Effekte sehen möchte, wäre natürlich auch eine gewisse Regelmäßigkeit sinnvoll.

Und beim Eisschwimmen, Gerald?

Hier würde ich noch ergänzen, dass mindestens 2 Minuten schon wichtig wären, weil wenn du nur ein paar Sekunden ins Wasser gehst, da hast du überhaupt keinen Effekt für den Körper, weil dieser noch gar nicht checkt, was passiert. Der Körper in der Sauna fängt ja auch nicht sofort, sondern erst nach 2-3 Minuten zu schwitzen an. Also wenn du nur kurz in den Bergsee läufst und wieder raus, ist das vielleicht gut fürs Ego, aber leider nicht viel mehr.
Eisschwimmen gehen wir mit Badehose, Badekappe, Schwimmbrille und Schwimmboje. Deine Hände und Füße, also die körpereigenen Sensoren mit Handschuhen oder Neoprensocken abdecken ist nicht ratsam, weil du deinem Körper die Regulation nimmst und deutlich länger drinnen bleibst als gut für dich. Es geht um gezieltes „Eingreifen“ lernen in autonome Systeme des Körpers. Eigentlich redet man erst unter 5 Grad von Eisschwimmen, darüber ist es nur Winterschwimmen. Unter Anleitung eines Profis musst du zuerst lernen, in deinen Körper hineinzuhören und seine Signale richtig zu verstehen. Der Körper zeigt dir, wie lange du drinnen bleiben darfst. Gefahren für Untrainierte beginnen beim Eisschwimmen erst nach 15-20 Minuten. Ich als Profi war aber auch schon im Achensee bei 4 Grad eine Stunde schwimmen. Auch das geht, wenn man will.

Was macht man nach dem Eisbad?

Daniel: So schnell wie möglich warm einpacken, warmen Ingwertee trinken und moderate Bewegung machen. Lange draußen bleiben sollte man nicht mehr. Ganz wichtig: Je unterkühlter man sich fühlt, umso langsamer muss man sich erwärmen! Nach dem Eisbad oder Eisschwimmen in die warme Badewanne oder heiße Dusche hüpfen kann tatsächlich tödlich sein!

Gerald: Der gesunde Körper wirft alle eigenen Mechanismen zum wieder aufwärmen selber an. Wirklich unterstützen kann man ihn hierbei nicht. Je nach Dauer im Wasser benötigt der Körper auch mal bis zu 45 Minuten, um sich wieder ganz warm zu zittern. Das mechanische Muskelzittern ist normal und gesund. Hier werden alle Zellen des Körpers aktiviert zum Mithelfen, und das aktiviert unser Immunsystem. Zu viel Bewegung danach kann gefährlich sein, da kaltes Blut von den Extremitäten zu schnell zum Herz gepumpt wird und ein Schock oder Herzstillstand ausgelöst werden kann. Warm anziehen reicht, Tee trinken ist gut. Warten, dem Körper Zeit geben und hineinhorchen, genießen.

Euer Zitat zum Schluss?

Gerald: Eisbaden und Eisschwimmen heißt eigentlich: „Verkühle dich täglich“. Nur so entwickelt der Körper Abwehrkräfte und stärkt sich von selbst. Ich bin tatsächlich nie krank, auch wenn das unsympathisch klingt. 

Daniel: Man wird nur stressresistenter, wenn man sich bewusst Stress aussetzt, in kontrolliertem Rahmen. So kommen wir Menschen wieder mehr ins Gleichgewicht.

 

Text: Verena Saischek