Update am Berg

Bergunfälle, Hüttenknigge und die Erhaltung der alpinen Infrastruktur, das alles vor dem Hintergrund immer noch mehr erholungssuchender Menschen in den Bergen, Sommer wie Winter. Interessante und spannende Themen und Fragen, die FREIZEIT-TIROL Clemens Matt, Generalsekretär beim Österreichischen Alpenverein, stellte.

Im August 2024 berichteten wir über die Initiative „Notruf aus den Alpen“. Wie sieht es jetzt, ein Jahr später, damit aus?

Nun, es ist ja eine gemeinsame Petition aller alpinen Vereine mit über 100.000 Unterstützenden. Das Thema dabei ist, die Infrastruktur und Hütten in den Alpen zu erhalten. Besonders betrifft das die kleinen Vereine, wie beispielsweise den Österreichische Touristenclub. Dieser ist im Westen weniger bekannt. Der Touristenclub war früher ein großer Verein, der knapp 50 Hütten besitzt. Aktuell sind rund 25.000 Mitglieder beim Verein. Rechnet man sich das überschlagsmäßig aus, kann durch die Mitgliedsbeiträge und die Pachteinnahmen, die ja ohnehin nur für eine kurze Dauer zu erzielen sind, niemals die komplette Infrastruktur erhalten werden. Von Renovierungen oder aktuellen Neubauten, wie es beispielsweise das Defreggerhaus in Osttirol benötigt, ganz zu schweigen. Nun machen wir als alpine Vereine ja ohnehin unglaublich viel. So erhalten wir rund 50.000 Kilometer Wanderwege kostenlos durch ehrenamtliche Helfer. Ein Blick in unser Nachbarland, die Schweiz, zeigt: Dort kostet ein Kilometer Wanderweg den Steuerzahler 800 Euro! Daher ist es, glaube ich, durchaus legitim zu fragen, ob wir nicht eine Unterstützung für diese Arbeit bekommen können. Wir sind auch ein wichtiger touristischer Partner: Wir machen das Land „wanderbar“. Mit den Hütten und den Wegen, denn wenn es keine Hütten mehr gibt, gibt es auch keine Wege, das geht Hand in Hand. Somit führten wir mit allen Parteien durchaus positive Gespräche. Es gab auch Unterstützung, doch es ist leider bis jetzt noch nicht der große Wurf, den wir brauchen, um das nachhaltig zu machen. Nach wie vor steht die Forderung von 95 Millionen Euro auf 10 Jahre. Nun ist uns allen klar, dass die Budgetsituation aktuell angespannt ist, doch wir hoffen, in den nächsten Monaten Klarheit für diese langfristige Perspektive zu bekommen. Können wir damit rechnen, oder wird es weiterhin wenig bleiben? Dann müssen wir uns in den Gremien zusammensetzen und über einen „Plan B“ nachdenken.

Was ist der „Plan B“?

Nun, das müssen wir in den Gremien besprechen. Aber es könnte eine drastische Erhöhung der Übernachtungskosten sein, was wir eigentlich nicht wollen. Oder, dass wir, dem Schweizer Modell folgend, für diese Arbeiten auch ein Entgelt bekommen. Über irgendeine Art der Finanzierung müssen wir uns Gedanken machen. Es darf nicht sein, dass man weiterhin zusieht, wie diese Hütten verkauft werden, zugesperrt werden oder verfallen. Beispielweise die Hütte der Naturfreunde im Voldertal: Der Erhalt der Voldertalhütte ist in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten. Oder die Grafhütte in der Wildschönau, die verkauft wurde, um andere Löcher zu stopfen. All diese Dinge passieren aktuell. Dem muss man entgegenwirken, oder man hat diese Infrastruktur nicht mehr oder nur mehr in reduzierter Form.

Wie sieht es aktuell finanziell aus?

Die Bundesregierung erhöht 2026/27 die Fördermittel für Schutzhütten und Wege von jährlich 2,72 auf 5 Millionen Euro – eine Reaktion auf die Petition „Notruf aus den Alpen“. Der Österreichische Alpenverein begrüßt diesen Schritt als wichtiges Signal. 2024 erhielten wir rund 1 Million Euro für diese Tätigkeiten. Bereits 2023 wurde ein Soforthilfepaket von drei Millionen Euro (für alle alpinen Vereine) gewährt, mit dem dringende Sanierungen umgesetzt wurden.

Bleiben wir beim Thema Hütten, aktuell ist der „Hüttenknigge“ des Alpenvereins erschienen. Was hat es damit auf sich?

Wir bekommen immer mehr Meldungen durch die Hüttenpächter über zunehmende Rücksichtslosigkeit der Besucher und steigende Achtlosigkeit auf Hütten gemeldet. Der Österreichische Alpenverein reagiert darauf mit dem neuen „Hüttenknigge“, der zehn zentrale Regeln für respektvolles Verhalten und Umweltschutz vermittelt. Es ist durchaus auch so, dass manche Leute nicht wissen, was sie auf einer Hütte erwartet: Eine Hütte ist kein Hotel. Ressourcen wie Wasser, Strom und Platz sind begrenzt. Muss ich jeden Tag duschen oder kann es durchaus einmal auch die „Katzenwäsche“ sein? Eine Packliste, Verhalten in Gemeinschaftsräumen und Müllvermeidung sind Teil der Eigenverantwortung. Wer antizyklisch tourt und öffentliche Verkehrsmittel nutzt, entlastet Hütten und Umwelt. Auch Doppelreservierungen – teils sogar auf derselben Hütte – sind problematisch. Dieses „nicht Bescheid geben“, wenn der Gast nicht kommt, ist sehr ärgerlich. Der Alpenverein appelliert an faire Reservierungen, frühzeitige Änderungen und den Eintrag ins Hüttenbuch – der im Notfall lebensrettend sein kann. Sonst belastet das alles das Hüttenpersonal und beeinträchtigt das Miteinander. Es soll aber eher aufklärend als belehrend rüberkommen! Aufklärend auch darüber, was im Hintergrund auf einer Hütte alles läuft. Ziel ist ein harmonisches Hüttenerlebnis, das auf Rücksicht und Achtsamkeit beruht. Wichtig ist mir aber festzuhalten, dass in einer Notsituation jeder Unterschlupf findet. Nur, wenn jemand ohne Reservierung und ohne Notsituation bei einer vollen Hütte ankommt, kann es durchaus sein, dass er abgewiesen wird und wieder absteigen muss.

Im heurigen Jahr und leider auch aktuell sind Bergunfälle und Todesopfer in den Medien dauerpräsent. Ein renommiertes Bergsportmagazin meldete in Italien 83 Tote am Berg – innerhalb von nur 4 Wochen! Was ist deine Meinung dazu, was geben die Daten dazu tatsächlich her?

Laut Daten des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit (ÖKAS) wurden im Zeitraum vom 01. Mai bis 07. Juli 2025 rund 10% mehr Verletzte in den Sommer-Bergsportdisziplinen (Mountainbiking, Wandern/Bergsteigen, Kombinierte Tour/Hochtour, Klettern) registriert als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Anzahl der tödlich verunglückten Personen hat zum selben Vergleichszeitraum des Jahres 2024 in Österreich zugenommen. Im Bundesland Tirol hat sich diese sogar verdoppelt (aktuell 21). Darin inkludiert ist auch der tragische Unfall durch Blitzschlag, wo drei Personen davon betroffen waren und was als eher außergewöhnlich zu sehen ist. Mein subjektives Gefühl, das leider auch mit Unfällen bestätigt wird: Wenn es so lange regnet, wie im heurigen Juli, wenn alles nass und rutschig ist, das birgt enorme zusätzliche Gefahren. Der Untergrund ist lose, man steigt auf einen Stein, der wegbricht, all diese Sachen spielen da hinein. Speziell auf Höhenwegen, wo ein Ausrutschen oder Stolpern tödlich ausgehen kann.

Unsere Erhebungen brachten aber auch die Erkenntnis, dass viele Bergunfälle beim Abstieg passieren. Besonders gefährlich ist der Abstieg nach langen Touren: Der Fokus, der zuvor dem Erreichen des Gipfels galt, lässt nach. Konzentrationsschwächen können zu Fehltritten führen. Eine ausreichende Energiezufuhr (60–90 g Kohlenhydrate/Stunde) und ausreichendes Trinken sind entscheidend, um leistungsfähig zu bleiben. Eine realistische Selbsteinschätzung, die passende Tourenwahl und vollständige Ausrüstung (u. a. Erste-Hilfe-Set, Rettungsdecke, Spikes) sind unerlässlich. Der Alpenverein empfiehlt zudem geprüfte Tourenportale und das „Fünf-Finger-Prinzip“ zur Tourenplanung:

1. Tour: Ist die Tour meinem Können angemessen? (Länge, Schwierigkeit, Exposition, Höhenmeter, Gehzeit)
2. Gruppe: Mit wem bin ich unterwegs?
3. Aktuelle Bedingungen: Altschneefelder, Wegsperrungen?
4. Wetter: Gewitter, Kaltfront, Hitze?
5. Ausrüstung: Schutz vor Regen, Wind und Kälte, Sonnenschutz, genug zu Trinken, Notfallausrüstung (Handy, Erste-Hilfe-Set, Biwaksack, Stirnlampe)?

Wir haben dazu auf unserer Homepage www.alpenverein.at auch eine Videoreihe zum Thema „Sicheres Bergwandern“ online gestellt. Natürlich sind heute so viele Menschen wie nie zuvor in den Bergen, was wiederum höhere Unfallzahlen bedeutet. Wir sehen das auch bei unseren Mitgliedern: Aktuell haben wir rund 720.000, ich denke, bis zum Jahresende wird sich das auf 750.000 erhöhen. Für sehr viele neue Mitglieder sind die Kursangebote zum Einstieg sehr sinnvoll. Auch betreiben wir aktuell über 200 Kletterhallen, was gerade Kindern und Jugendlichen den Zugang zu dieser Sportart enorm erleichtert.

Hüttenknigge - die 10 Regeln:                  

Tourenplanung:
Entdecke alternative Hüttenziele in anderen Regionen, plane deine Tour unter der Woche, außerhalb von Ferienzeiten oder in der Nebensaison, sei kreativ: Drehe deine Route um oder wähle neue Richtungen

Anreise:
mit Öffis, nutze die Möglichkeit von Touren mit unterschiedlichem Start- und Endpunkt, bilde Fahrgemeinschaften

Hüttenpackliste:
Hüttenschlafsack, Hausschuhe, Bargeld, Powerbank, Ohrenstöpsel

Reservieren und Planänderungen:
Storniere oder ändere deine Reservierung rechtzeitig, gib bei Verspätung dem Hüttenteam Bescheid, tätige nur Reservierungen, die du wahrnehmen möchtest, vermeide Doppelreservierungen

Anrecht auf einen Schlafplatz:
Reserviere unbedingt im Voraus, im Falle eines Notfalls oder wenn der Abstieg nicht mehr zumutbar ist, gibt es immer Schlafplätze

Verhalten im Trockenraum:
Lasse nasse und dreckige Bekleidung und Schuhe sowie Stöcke im Trockenraum, halte damit die Schlafräume sauber

Nutzen von Strom und Wasser:
Die Energie-, Wärme- und Wasserversorgung/ Abwasserentsorgung ist auf Hütten sehr aufwändig und limitiert, daher heißt es: Gehe mit Ressourcen sparsam um!

Hüttenküche:
Genieße das kleine, aber abwechslungsreiche Angebot, plane die Essenszeiten bei deiner Unternehmung mit ein, kommuniziere Allergien im Voraus

Müllentsorgung:
Nimm deinen Müll wieder mit, nutze Hütten-Müllsackerl, wirf keine Abfälle in die Toilette

Hüttenbuch:
Trage dich, bevor du gehst ins Hüttenbuch ein, gib deine Mobilnummer bei der Reservierung bekannt, achtet aufeinander bei gleichen Tourenzielen

Text: Bernhard Schösser
Fotos: N. Freudenthaler, I. Stefan, Th. Hennerbichler, B. Schösser