Die Tätigkeit für FREIZEIT-TIROL bringt und brachte über viele Jahre interessante Geschichten und den Kontakt zu unterschiedlichsten Personen. Egal ob Rockstar, Sportler, Bischof oder Kabarettist, ich kann mich ehrlich an kein unangenehmes Zusammentreffen erinnern, die meisten waren sogar durchaus lustig. Der Kontakt mit einigen dieser Personen hält bereits über Jahre an, ist schon fast freundschaftlich zu nennen. Roswitha Felder vom Mühlendorf in Gschnitz ist eine davon. Fast seit dem Beginn des Freilichtmuseums war ich zuerst als Gast und dann schon bald auch beruflich mit dabei. Mein kleiner, auch persönlich angehauchter Rückblick, sei mir an dieser Stelle somit erlaubt!
Am Abend des 30. Juni sitze ich mit Kollegen in Innsbruck beim Feierabendbier, als es Gewitter und Regen gibt. Nichts dramatisches, die abnormale Hitze in diesem Juni hatte solche Niederschläge schon mehrfach ausgelöst, zwei Mal auch mit Hagel. Dass im nur rund 35 Kilometer entfernten Gschnitztal im wahrsten Sinn des Wortes der Weltuntergang stattfindet, bei dem das beliebte Ausflugsziel dem Erdboden gleich gemacht wurde, erfahren wir erst später in den Nachrichten.
So mache ich mich rund 5 Wochen später auf den Weg nach Gschnitz, um Roswitha Felder zu treffen und vor Ort einen Eindruck der Tragödie zu bekommen. Schon die Zufahrt ins hintere Gschnitztal offenbart mir immer noch die gewaltigen Murenabgänge an allen Talseiten. Trotz permanenter Aufräumarbeiten liegen noch Geröll- und Steinlawinen herum.
Überall wird gebaggert und gearbeitet. Vom Mühlendorf ist tatsächlich fast nichts mehr über, nur die Josefskapelle und die sogenannte Aste-Hütte, die alte Matreier Ochsenalm - zwei von ursprünglich 11 Gebäuden – sind stehen geblieben! Beide Gebäude sind stark in Mitleidenschaft gezogen. Viele haben mittlerweile geholfen, die Kapelle auszuräumen, die eineinhalb Meter tief im Schlamm gesteckt ist. Doch es braucht neben Trockenlegung und neuen Fenstern auch einen Restaurator, um dieses Juwel wieder herzustellen. Bis zu 9 Meter hoch waren die Gesteinsmassen am Gelände hier, nichts mehr ist übrig geblieben. Selbst die massive Brücke hoch über den Sandesbach wurde von den Geröllmassen beschädigt, auch am heutigen Tag liegen noch mächtige Gesteinsbrocken auf dem Bauwerk. Seit 2007 hatte man jedes Jahr ins Mühlendorf investiert, fleißig erweitert und erneuert. In diesem Jahr wurde für die Gastronomie ein neuer Herd angeschafft, für kommendes Jahr war die Erneuerung des Kinderspielplatzes geplant. Vorarbeiten und Überlegungen für das 20-Jahr-Jubiläum 2027 gab es bereits ebenfalls. Insgesamt geschätzt rund 1 Million Euro sei so im Lauf der Jahre investiert worden. Die umfangreichen Arbeiten, die von Freunden und Vereinsmitgliedern meist kostenlos und in Eigeninitiative erledigt wurden, sind hier nicht eingerechnet. So wuchs und entwickelte sich das malerische Mühlendorf zu einer authentischen Attraktion, die im Sommer bis zu 6 Vollzeitarbeitsplätze schuf.
Im Gegensatz zu vielen künstlichen Freizeitparks spürte man hier tatsächlich die Liebe zum historischen Detail unserer Vorfahren und konnte die Mechanismen der Mühlen betrachten. Oder die Wasserspiele und verschiedene passende Veranstaltungen genießen, immer fern von jeglichem Kommerz. Just am heutigen Tag hätte es hier ein Frühschoppen geben sollen, das aber nach Trins verlegt wurde. Eine schwer beschädigte Kapelle und eine nicht zugängliche Hütte, umrahmt von planierten Erdmassen, das ist wenig einladend.
Wie geht es nun weiter?
Ein Mühlendorf in dieser Form wird es nicht mehr geben. Weder an dieser Stelle noch sonst irgendwo im hinteren Gschnitztal. Die massiven Murenabgänge am 30. Juni haben gezeigt, dass immer mit neuerlichen Naturkatastrohen gerechnet werden müsse. Zum Glück gab es keine Personenschäden im Tal, die massiven Sachschäden werden die Bewohner aber noch lange begleiten. Neben den momentan mit Hochdruck im Bau befindlichen Schutzwällen rund um das ehemalige Mühlendorf gibt es jedoch eine konkrete Überlegung, damit dieser Ort nicht komplett in Vergessenheit gerät. So soll das Mühlendorf in einer stark verkleinerten Form rund um die Kapelle weiterleben. Es ist ein schöner Erinnerungsplatz mit Sitzgelegenheiten, Brunnen und Tafeln mit Fotos und Ansichten des ursprünglichen Mühldorfes für künftige Besucher geplant. Das alles aber erst nach Abschluss der aktuellen Arbeiten am Gelände und der kompletten Renovierung der beiden verbliebenen Gebäude. Und wohl auch nach der Verarbeitung von Schock und Trauer, die den Menschen hier immer noch in den Knochen und Köpfen stecken!
Für diesen Neuanfang wurde ein Spendenkonto bei der Raika Wipptal-Stubaital eingerichtet. IBAN: AT06 3632 9000 0050 3391. Vergelt’s Gott!!