Die Tuifl sind los!

Faszinierend und furchterregend, packend und beklemmend, attraktiv und abscheulich: Der Krampus lässt kaum jemanden unberührt und zählt in Tirol als absolutes Kulturgut in der Adventszeit, wenn auch polarisierend. Ab Mitte November treiben wieder die Tuifl ihr Unwesen. Irzer Bergtuifl, Ötztaler Feuerteufel, Gerlosberger Schluchtenteufel, fast jede Gemeinde hat einen eigenen Verein und lädt zum alljährlichen Krampustreiben. FREIZEIT-TIROL beleuchtet die teuflische Tradition und hat die Igler Tuifl, Nuistifter Tuifl und den Tuiflverein Reutte um tiefere Einblicke gebeten.

Die Gestalt, die um den 5. Dezember viele Orte Tirols in eine dämonische Schattenwelt verwandelt, scheint aus den Tiefen der Hölle entkommen zu sein. Ist sie Relikt eines vorchristlichen, heidnischen Rituals, das es in die modernen Zeiten geschafft hat? Keineswegs! Vor etwa 400 Jahren erscheint der Krampus oder Klaubauf, wie er damals hierzulande noch genannt wurde, erstmals bei sogenannten Nikolausspielen als Begleiter des heiligen Bischofs. Seine Maske erschreckte schon damals die Anwesenden, allein im Vergleich zu heute wirkte er noch eher zahm. Dies ist gar nicht verwunderlich, denn er stand im Dienst des erhabenen Heiligen. Szene für Szene wurden dem Publikum bei diesen in den Stuben dargebrachten Theatern zwei Möglichkeiten aufgezeigt: Helligkeit und Dunkel, Ehrlichkeit und Sünde, Sühne und Schuld. So wurde der richtige Weg zum Seelenheil im Himmel gezeigt – und drastisch vor Augen geführt, wohin ein lasterhaftes Leben führen würde. Dass sich in diese religiös-pädagogische Vermittlung bald auch derbe und lustige Szenen mischten, die Spiele Anlass für Trunkenheit und wohl auch manch sexuelle Begegnung wurden, das störte natürlich die aufgeklärte Obrigkeit. Vor etwa 250 Jahren wurden die Aufführungen in den Stuben verboten. Gewiefte Köpfe verlagerten das Treiben deshalb vor die Häuser: der Umzugsbrauch war geboren. Krampus und Höllenfürst Luzifer verschmolzen sukzessive zu einer Gestalt. Elemente des Perchtengehens und anderer Maskenbräuche beeinflussten in weiterer Folge das Geschehen. Beim Krampuslaufen oder Klaubaufgehen wurden Geld und Lebensmittel gesammelt, im Schutz der Maske konnte sich die energiegeladene Jugend auch austoben.

In den letzten 100 Jahren hat sich das Erscheinungsbild des Krampusumzugs nachhaltig verändert. Aus den einst kleinen Schellen, die in der Dunkelheit der Nacht als Ankündigungssignal dienten, haben sich große und dröhnende Lärminstrumente entwickelt. Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert erlebt der Krampus eine neue Konjunktur. Masken wurden dämonischer, absorbieren mannigfaltige Männlichkeitsbilder und wirken heute deshalb überaus archaisch. Gerade dadurch fesselt der Krampus sein Publikum mit einer packenden und erregenden Angstlust. Der Krampus hat sich so zum Naturdämon gewandelt, der aber seine Verbindung mit dem Heiligen Nikolaus noch nicht ganz aufgegeben hat.

Viele Tiroler Krampusvereine existieren seit 20-30 Jahren und wurden ins Leben gerufen, um das traditionelle Krampusbrauchtum in organisierter und gemeinschaftlicher Form weiterzuführen. Doch auch vor dieser Zeit trafen sich schon die Krampusse. Die Masken waren einfacher und es stand vor allem der Spaß und das Erschrecken im Vordergrund. So berichten die Igler Tuifl: „Erste Erwähnungen vom Tuifllauf in Igls liegen schon lange zurück und wurden von den Urgroßvätern überbracht. Zu dieser Zeit wurde noch wild durch das Dorf gegangen und bei Häusern eingekehrt. Leider wurde damals nichts niedergeschrieben, doch gibt es eine Sage von Johann Adolf Heyl aus dem Jahr 1897 über die Igler Teufelsmasken.“ Der erste offizielle Umzug der Igler Tuifl fand im Jahr 1992 statt. Mit wachsendem Interesse stiegen auch die Mitgliederzahlen. Heute hat der Verein 60 Tuifl sowie 32 Helfer. Viele Vereine haben auch Jung- und Kindertuifl dabei. Der Tuiflverein Reutte zählt rund 65 Erwachsene sowie 55 Kinder und Jugendliche, die mit großem Eifer dabei sind: „Damit ist der Verein auch ein Ort, an dem junge Menschen früh an das Tiroler Brauchtum herangeführt werden.“

Die Krampusläufe erfahren auch immer stärkeren Besucherzuwachs. Während es kleinere Vereine wie Igls heute lieber etwas familiärer und „hoameliger“ halten und den Umzug im alten Schulgarten veranstalten, wo auch der Nikolaus im Vorfeld ein schönes Ambiente hat, so zieht der traditionelle Reuttener Krampusumzug rund 15.000 Besucher an: „Wenn über 800 Krampusse mit Fackeln, Glocken und prächtig geschnitzten Larven durch die Straßen ziehen, herrscht im ganzen Ort eine besondere Atmosphäre.“ Je größer der Krampuslauf, desto mehr Vorbereitung braucht es natürlich. Streckenplanung, Sicherheitskonzepte, Larven reparieren, neue Mitglieder einkleiden und vieles mehr stehen auf dem Programm. So wird bei großen Läufen oft schon im Frühjahr begonnen, vor allem, da viele Krampusvereine mittlerweile mehrere Feste organisieren, wie etwa die Nuistifter Tuifl den Tuiflball und das im Sommer stattfindende Mulltonnenrennen: „Uns ist es wichtig, mit unseren Veranstaltungen nicht nur die Krampustradition aufrecht zu erhalten, sondern auch einen Mehrwert für Einheimische und Touristen der Gemeinde Neustift zu bieten.“ Bei kleineren Gemeinden geht es etwas gemütlicher zu. Das Besondere bei den Igler Tuifln ist die Ausschusssitzung Anfang Oktober: „Bei dieser Sitzung wird der neue Obertuifl fixiert. Zum Ende des Treffens erhebt er sich und stimmt traditionell das Lied der Igler Tuifl an“.

Das wohl prägnanteste Krampusthema heutzutage ist die Sicherheit. Längst bekannt ist, dass auf den Umzügen aufgeheizte und enthemmte Stimmungen die Überhand gewinnen können. Nicht selten liest man vom Tummelplatz ausgelebter Aggressionen, von Massenschlägereien und Übergriffen auf die Polizei oder zwischen Krampussen und Besuchern. Daher steht für die Vereine das Sicherheitskonzept bzw. ein sicherer Ablauf für alle Beteiligten an erster Stelle. Und natürlich gehen viele Umzüge auch völlig unfallfrei über die Bühne. Meist besteht heute eine enge Zusammenarbeit zwischen Verein, Gemeinde, Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz oder auch Tiroler Bergwacht. Es gibt Absperrungen, zahlreiche geschulte Ordner sowie professionelles Security-Personal. Ein Krampuslauf muss polizeilich gemeldet sein, an die Krampusse werden Nummern ausgegeben, um bei Zwischenfällen eine lückenlose Nachvollziehung zu gewährleisten. Brandsicherheitswache, Rettungsdienst und polizeilicher Schutz sind Pflicht. Auch innerhalb der Vereine wird großer Wert auf Disziplin gelegt, „die Läufer wissen genau, wie sie sich zu verhalten haben, damit das Brauchtum im Mittelpunkt steht und niemand zu Schaden kommt“, so der Tuiflverein Reutte. Die Nuistifter Tuifl berichten, dass sich allerdings gerade wegen steigender Sicherheitsmaßnahmen das Publikum stark verändert habe: „Die Besucher haben eine geringere Hemmschwelle als früher, oftmals sind sie der Meinung, hinter den Absperrungen passiert ihnen sowieso nichts. Das Ziehen an den Hörnern und den teuren Gewändern stehen mittlerweile leider an der Tagesordnung.“ Die Krampusvereine sind sich einig, nur gemeinsames Ziehen an einem Strang macht solche Großveranstaltungen heutzutage noch möglich.

Als eigene Kunstform könnte man die grauslich beeindruckenden Masken bezeichnen, die in diesem Metier „Larven“ heißen. Zusammen mit den aufwendig gestalteten Fellen und Gewändern werden sie je nach Verein von unterschiedlichen Schnitzern und Firmen bezogen, auch weit über die Grenzen Tirols hinaus und oft für jeden Träger einzeln nach seinen Vorstellungen gefertigt. So greift zum Beispiel der Tuiflverein Reutte auf den Vereinsschnitzer Christian Steiner zurück: „Jede Larve ist ein Unikat und trägt die persönliche Handschrift ihres Trägers. Viele Mitglieder investieren unzählige Stunden, um ihre Ausrüstung in Schuss zu halten, zu reparieren oder zu verbessern.“

Einer, der den Krampussen das Gesicht, die Larve, fertigt, ist auch der Igler Schnitzer Günther Mayregger. Er ist Gründungsmitglied der Krampusgruppe Igls und hilft in der Pension im heimischen Schnitzkeller gerne mal mit passendem Kopfschmuck aus. So hat er dem Verein auch die zwei Masken der Igler Obertuifl geschenkt. „Meine Masken fertige ich ausschließlich aus Zirbenholz“, so Mayregger. Ein entsprechend großes Holzstück wird auf der Werkbank eingespannt, dann beginnt die Bearbeitung – von grob bis fein. Nach dem Schnitzen wird die Larve geschliffen und „gfassn“, das heißt mit Acryllack eingelassen. Dann kommen noch das Fell für den Kopf und - ganz wichtig - die Hörner und ein individuelles Tragegestell drauf, fertig. Rund 25 Stunden Arbeit sind für eine ansprechende Larve nötig. Auf die Frage, wie viele Larvenschnitzer in Tirol tätig seien, meint Günther: „Ich denke, so 30 bis 35 Schnitzer, wobei es weiter im Osten von Tirol ja fast schon ein Industriezweig wird…!“.

Auch in Osttirol wird eifrig geschnitzt. Unsere Recherche ergab, dass im Durchschnitt der Preis für eine von Osttiroler Schnitzern hergestellte Krampus- oder im hinteren Iseltal häufig auch als „Klaubauflarve“ bezeichnet, zwischen 700 und 1.000 Euro liegt. Es wurde für eine Larve aber auch schon 10.000 Euro bezahlt. Doch auch das Werkzeug hat seinen Preis: Ein Schnitzmesserset kostet zwischen 300 und 1.000 Euro.

Und wie funktioniert eigentlich die Finanzierung für einen Krampusverein? Die Haupteinnahme ist für die meisten der jährliche Umzug. Hinzu kommen Sponsorings und Spenden von großzügigen lokalen Betrieben. Um Profit geht es hier nicht, stattdessen werden Einnahmen wieder in das Vereinsleben investiert. Und es erklären die Nuistifter Tuifl: „Einen erheblichen Teil der Einnahmen verwenden wir für Spenden. Wir sind bei vielen Spendenaktionen das ganze Jahr über beteiligt, da uns wichtig ist, zu vermitteln, das Krampus-Brauchtum sollte ein Füreinander sein.“ Besonders wichtig sind auch die vielen freiwilligen Helfern, ohne die das heutige Tiroler Krampustreiben nicht möglich wäre.

Text: Verena Saischek