CONCHITA WURST - Von der Balladen-Diva zum Elektropopper

CONCHITA WURST - Von der Balladen-Diva zum Elektropopper

 

Tom Neuwirth. Gleichermaßen eine (österreichische) Ausnahmeerscheinung sowie Reizfigur und Reibebaum, speziell in den sozialen Medien. Seit 2011 tritt der gebürtige Oberösterreicher als Dragqueen "Conchita Wurst", seit 2015 als "Conchita" auf, eine Diva mit Vollbart! Wurst nach eigenem Bekunden deshalb, "weil es eben "wurst" ist, woher man kommt und wie man aussieht". Mit der Nummer "Rise Like A Phoenix" gewinnt Conchita Wurst am 11. Mai 2014 den Eurovision Songcontest in Kopenhagen. Es ist das viertbeste nationale Ergebnis in der Geschichte des Songcontests und der zweite Sieg Österreichs. Im Oktober 2018 erscheint ein Album von Conchita und den Wiener Symphonikern mit dem Titel "From Vienna With Love". Im Frühjahr 2019 kündigt Tom Neuwirth an, mit einem neuen Projekt unter dem Namen WURST Elektropop zu machen. Die Singles "See me Now", "Hit Me" und "Thrash all the Glam" sind bereits auf dem Markt - im Herbst dieses Jahres soll dann die komplette CD mit dem Titel "Tom" ("Truth over Magnitude") erscheinen. Im Rahmen seines Konzertes beim Burgsommer in Hall traf FREIZEIT TIROL einen bestens gelaunten und sehr entspannten Tom Neuwirth zum ausführlichen Gespräch.

WURST steht für deine neue musikalische Ausrichtung, für Elektropop. Was war der Grund, der dich veranlasst hat, sowohl imagemäßig als auch musikalisch einen Wechsel zu machen?

Seit ich denken kann, wollte ich Celine Dion sein. Das ist mir dann geglückt (lacht). Ich hatte meine Momente, in denen ich große Dramen und Balladen singen konnte, auch mit den Symphonikern. Jetzt habe ich mir gedacht, dass ich das singen möchte, was ich auch privat höre. Elektropop, wie beispielsweise Massive Attack oder Björk, wenn man so will die "experimentellere Ecke". Mit Eva Klampfer, die meine Songs schreibt und dem Produzenten Albin Janoschka habe ich ein tolles Team gefunden. Du musst wissen, ich bin komplett talentfrei beim Songschreiben! Mehr als "you and me, wo laff ma zamm, wo laff ma hi" geht sich bei mir nicht aus...! Nach dem mäßig erfolgreichen Besuch mehrerer Songwritingcamps in ganz Europa habe ich festgestellt, dass meine Stärke eben das Erzählen von Geschichten ist. Diese erzähle ich Eva. Und Eva, die mittlerweile wohl mehr von mir weiß, als sie jemals wollte, kann daraus diese unglaublich authentischen Nummern schreiben!

Wie kommt das bisher bei deinen Fans an?

Bei jenen, die ich treffe, sehr gut! (lacht). Nein, im Ernst, auf Youtube haben wir beim neuen Song "Hit Me" nach etwas mehr als drei Monaten fast 2,5 Millionen Klicks, das ist nicht so schlecht. Das ist ein Parameter, mit dem man sieht, dass es den Leuten gefällt. Wenn es niemandem gefallen würde, würde mich das nicht freuen. Doch in erster Linie bin ich da sehr egoistisch, wenn du willst, egozentrisch: Zuerst muss es mir gefallen, wenn es dann auch jemand anderem gefällt - super!

"Hit Me" ist ein wirklich tolles Video!

Ja, fein. Da war ich blond, das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich glaube, ich war eine Woche blond. Dann musste ich für den Amadeus Music Award Fotos machen, wollte noch nichts vom Video verraten und habe wieder dunkel gefärbt...!

Wie vereinst du diesen musikalischen Stilwechsel live auf der Bühne? Es gibt ja auch heute Abend hier in Hall Leute, die die "alten" Hits hören wollen und andere, die wegen der neuen Songs hier sind?

Das geht super! Mein musikalischer Leiter, Severin Trogbacher, hat zusammen mit der gesamten Band die alten Sachen etwas mehr auf die elektronische Schiene gebracht und die neuen Nummern etwas poppiger arrangiert. Ich bin ja privilegiert: Ich darf vom Duo mit DJ bis hin zusammen mit einem 120 Leute Orchester auf der Bühne stehen. Darum gibt es von meinen Songs auch immer fünf verschiedene Varianten!

Wie viele Leute sind heute hier in Hall mit dir unterwegs?

Insgesamt 12, acht davon stehen auf der Bühne.

Großer Themenwechsel: Du hast wiederholt den "Life-Ball", die größte Benefiz-Veranstaltung in Europa für HIV-infizierte und an AIDS erkrankte Menschen, moderiert, so auch heuer. Organisator Gery Keszler verlautbarte ja, dass mit 2019 Schluss mit dem Ball sei. Würde es dich reizen, diesen Event fortzuführen?

Nun, wir blödeln schon immer wieder damit herum, aber ernsthaft haben wir darüber noch nie gesprochen. Es wäre auch insofern schwer, als dass der Ball nicht mein "Baby" ist, so sehr ich den Life Ball liebe. Ich denke, Gery kann das am besten, genauso wie ich "Conchita" am besten kann. Beim Ball kenne ich mich zu wenig aus. Man muss in so eine Thematik, speziell auch wirtschaftlich mit den Sponsoren, einfach hineinwachsen. Ich reduziere mich auf das, was ich kann, und das ist die Moderation. Aber ich glaube, es geht ohnehin weiter, zumindest hat es sich für mich nicht angefühlt wie "der letzte Life Ball"!

Dauerthema, nicht nur bei dir bzw. Conchita: Soziale Medien. Ich habe beispielsweise die Facebook-Gruppe "Nein zu Conchita Wurst beim Songcontest" gesehen. Wie gehst du mit solchen Sachen um?

(Lacht): Was, die gibt es noch?

Ja, das sind zwar alles sehr alte Einträge, jedoch mittlerweile mit durchaus positiven Kommentaren durchmischt...

Wie, die Gruppe wurde nicht aktualisiert?

Nein, die Gruppe scheint stehengeblieben zu sein...

Das ist doch eine Frechheit, die interessieren sich nicht mehr für mich, was ist da los? Nein, ohne Spaß: Ich bin ein sehr egozentrischer Mensch. Ich freue mich, wenn jemand eine eigene Meinung hat, ich nehme so etwas gerne mit. Aber am Ende des Tages gibt es in meinem Universum für mich zwei Meinungen: Meine und die Falsche!

Wie reagierst du auf die teilweise ja sehr untergriffigen Posts, speziell auf die Kunstfigur "Conchita", geht dir das nahe?

Ich mache zwischen Conchita und mir keinen Unterschied. Eigentlich ist es mir herzlich egal, was da geschrieben wird. Wenn man mich lobt, höre ich sehr gerne zu, bei allen anderen Postings bin ich extrem gelangweilt, es ist mir wurst...

Dein spezieller "Tirol-Bezug"?

Nun, ich habe ein paar Tiroler Freunde. Den Tiroler Dialekt kann ich aber überhaupt nicht aussprechen, den Vorarlberger Dialekt schon, den haben sie mir antrainiert. Generell denke ich, je weiter man in den Westen kommt, desto entspannter werden die Leute. Ich selber bin hier zumindest immer sehr entspannt, ich komme ja auch "aus den Bergen", aus Bad Mitterndorf im Salzkammergut. Alles, was mich ein wenig an Zuhause erinnert, tut mir somit gut.

Wie siehst du dich künstlerisch in fünf Jahren?

Ehrlich? Ich habe keine Ahnung! Vielleicht stehe ich als Regisseur hinter der Kamera und schreie Schauspieler an. Wobei die dann wieder mit meiner und der ansonsten falschen Meinung schwer zu tragen haben: "Jetzt spielt`s des gfälligst so, wie ich des schreib...!" Nein, ich denke, es ist gut einen groben Plan zu haben. Dabei sollte man aber flexibel bleiben, da sich Vieles im Leben ja von selbst ergibt!

 

Text und Fotos: Bernhard Schösser