Dass man, wenn man am Arlberg wohnt, Ski fährt, ist nichts Außergewöhnliches. Dass das seit Generationen Familien tun, ebenso nicht. Dass man den Skisport, genauer gesagt die relativ junge Sportart „Freeride“ in der Meisterstufe lebt, wird es, wie im Fall der Familie Häusl, nicht allzu oft geben. FREIZEIT-TIROL schnallte die nostalgischen Latten an und begab sich auf Spurensuche mit Mutter Geli, Tochter Jana und Vater Stefan Häusl.
Wie seid ihr zum Freeriden gekommen?
Stefan: Ich war lange Ausbilder in der ÖSV Ski Akademie St. Christoph. So um das Jahr 2000 herum kamen zum ersten Mal die breiten Ski auf den Markt. Wir gingen jede freie Minute raus ins Gelände, schauten, was man mit den neuen Skiern so machen konnte. Es machte so viel Spaß, damit hat sich für uns eine neue Welt eröffnet. Wir sprangen über Felsen, fuhren steile Linien und hatten die Zeit unseres Lebens ;-). Danach ging’s bei mir weiter mit Wettbewerben, Filmaufnahmen usw. Aber eigentlich war es meine Frau Geli, die mich zu meinem ersten Contest nach Verbier in die Schweiz mitgenommen hat. Wir schliefen mit 50 anderen Leuten in einem kleinen Militär Bunker, das war am billigsten. Am darauffolgenden Tag fuhren wir den Contest. Die Topergebnisse stellten sich bei mir schnell ein und so erfolgte sofort der Schritt in die Freeride World Tour. Aber wie immer in meinem Leben, eine Sache brachte mich zur nächsten.
Geli: Ja genau so war’s. Ich war in Verbier angemeldet und habe Stefan dazu bewegt, mit zu kommen. Es war sofort unser beider Leidenschaft. So, dass wir im selben Jahr noch bis nach Riksgränsen in Schweden (200 km nördlich des Polarkreises) gefahren sind, um an einem Contest teilzunehmen. Dort gab es schon länger eine größere Freerideszene und uns hat das extrem gefallen. Die nächsten Jahre nahmen wir immer wieder an solchen Freeride Bewerben teil. Gleichzeitig machte ich aber auch die staatliche Skilehrer- und die Skiführerausbildung. Als dann unsere Tochter Jana zur Welt kam, war es naheliegend, mich selbständig zu machen. Seitdem arbeite ich als Freeride Guide am Arlberg und bringe damit den Gästen gerne meine Leidenschaft, das Freeriden, näher.
Jana: Ich konnte eh nicht anders, wir standen immer auf Skiern und die meiste Zeit fuhren meine Eltern mit mir ins Gelände. Es hat auf Anhieb viel Spaß gemacht. Als mein Papa dann mit den Freeride Teams beim Ski-Club Arlberg einstieg, bin ich immer wieder mitgefahren. Meistens war ich jedoch die Jüngste. Also musste ich Gas geben, um mit den Großen mit zu kommen. Bis zur letzten Saison bin ich auch Ski Alpin Rennen gefahren. Nach meinem Sieg bei der Junioren Weltmeisterschaft im Freeriden im Jänner 2024 war mir jedoch klar, dass ich mich nur noch auf das Freeriden konzentrieren möchte. Der Event hat mir die Augen geöffnet, ich hatte so viel Spaß beim Ski fahren, springen und auch mit all den anderen Athleten. Ich habe realisiert, dass diese Wettkämpfe genau das sind, was mir die größte Freude bereitet.
Wie kann man sich die aktuelle Freeride Szene vorstellen, auch im Hinblick auf Olympia?
Stefan: Der Sport ist ganz klar am Wachsen. Es gibt Junioren Wettbewerbe (ab 10 bis 18 Jahre) und Erwachsenen Wettbewerbe, die so genannten „Qualifier Events“. Hier arbeitet man sich nach oben, um einmal das große Ziel zu erreichen, die Freeride World Tour. Die World Tour Events sind eine Art Weltcup, bestehend aus 6 Wettbewerben auf der ganzen Welt. Der Gesamtsieger darf sich dann „FIS/Freeride World Tour Champion“ nennen. Ich war einmal kurz davor, diesen Titel zu holen, habe es jedoch mit einem Sturz beim letzten Event nicht geschafft. Der Tiroler Valentin Rainer hat das als erster Österreicher in der Ski Männer Disziplin 2023 erreicht. Das war Wahnsinn, denn er war einer meiner ersten Athleten, die ich im Ski-Club Arlberg Freeride Team gecoacht habe. Seit Juni 2024 ist Freeride offiziell eine FIS Sparte. Das Ziel ist es aktuell, unseren Sport Richtung Olympia fit zu machen. Dies wäre der nächste Schritt in der Professionalisierung dieses schönen Sports. Man hat heuer in Paris gesehen, wie zum Beispiel eine Sportart wie Surfen einen tollen Platz bei Olympia einnehmen kann. Ich bin überzeugt, dass Freeride die Spiele bereichern wird.
Geli: Ja, da hat sich Einiges getan seit den Anfängen des Freeridens. Damals gab es einfach ein paar Bewerbe, bei denen man mitgefahren ist, aber kein richtiges System. Toll, dass sich Freeriden so weiterentwickelt hat.
Jana: Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn Freeride olympisch würde. Das bringt den Sport nochmals zu einem ganz anderen Publikum und somit die Anerkennung für die Leistung der Athleten. Im Jänner 2024 nahm ich an der Junioren Welt Meisterschaft in Kappl teil. Um dort überhaupt starten zu dürfen, muss man sich in der Saison davor qualifizieren. Nur die besten Junioren der Welt werden zu diesem Event eingeladen. Deshalb war die Freude noch größer, als ich diesen Bewerb mit nur 15 Jahren gewann. Normalerweise dominieren dabei die 17- oder 18-jährigen Teilnehmerinnen. Es war für mich eine sehr große Ehre, als erste Österreicherin und jüngste Siegerin jemals, diesen Titel mit nach Hause zu nehmen. Es war so ein cooles Event und dass es beim ersten Antreten schon geklappt hat, hat mich natürlich weiter motiviert, Vollgas zu geben.
Wie schaut man sich beim Wettkampf die Strecke, die sogenannte „Line“, an?
Stefan: Bei den Events bekommen die Teilnehmer Tage zuvor einen Bereich vorgegeben, „Face“ genannt, auf dem sie sich austoben können. Sobald man diese Infos hat, darf man als Athlet oder Trainer diese Zone nicht mehr befahren. Alle FahrerInnen planen ab sofort ihre Linien. Sie sollen mit Sprüngen und Tricks versehen sein, sollen spektakulär sein und am Ende sicher und schnell befahren werden können. Kreativität ist angesagt. Die meisten Schwünge werden genau geplant. Das Tempo beim Absprung, die Richtung, in die man springt, all das sind wichtige Parameter, die die LäuferInnen am Start im Kopf haben. Das Resultat soll eine große Show sein und das Ganze soll sicher, stabil und kontrolliert ablaufen. Bei den Junioren werden natürlich einfachere Berge befahren. Je höher die Kategorie der Bewerbe, desto spektakulärer werden die Faces. In Österreich gibt es seit Jahren einen World Tour Stopp: Fieberbrunn hat einen fixen Platz im Freeride World Tour Kalender. Die Organisatoren vor Ort machen schon jahrelang einen megaguten Job. Einmal konnte ich diesen Bewerb auf der World Tour gewinnen. Ich bin immer noch stolz darauf.
Jana: Sobald wir das Riders Meeting absolviert haben, geht’s sofort mit meinem Papa und Trainer zum Planen der Linie. Ich wähle immer eine Linie, in der ich mich wohl fühle, wo ich meine Ski fahren und meine Freestyle Tricks zeigen kann. Wo ich denke, dass es mir am meisten Spaß macht. Natürlich soll die Linie auch herausfordernd für mich sein und gute Punkte bringen.
Wie wird die Fahrt, der „Run“, beurteilt?
Stefan: Es gibt 5 Kriterien. Die „Linie“: Sie soll spektakulär sein, darf vom Athleten frei gewählt werden. Kreativität ist gefragt. Dann „Kontrolle“: Alles muss stabil, kontrolliert und sauber gefahren werden. Es folgt die „Technik“: Das ist vor allem bei den Juniors sehr wichtig, aber gute Fahrtechnik steht ganz oben. „Air and Style“: Größere Sprünge und Tricks bringen dich nach oben in der Wertung, sie müssen aber kontrolliert ausgeführt werden. Und schließlich „Flüssigkeit“: Die Linie soll flüssig gefahren werden, kein stoppen ... Der Zuseher soll das Gefühl haben, dass die Rider genau wissen, wo sie sich am Berg befinden und alles im Griff haben. Das Team an Judges gibt dann Punkte, zwischen 1 und 100. Mit der höchsten Punkte Anzahl gewinnt man seine Wertung. Es gibt meist 4 Kategorien: Ski Damen und Herren, Snowboard Damen und Herren.
Wie sieht es mit dem Thema „Sicherheit“ aus?
Stefan: Bei Events wird der Hang von den Veranstaltern kontrolliert. Er wird zum Teil gesprengt und gesichert. Dieser Prozess beginnt schon lange vor dem Event und der Berg wird permanent beobachtet.
Geli: Außerdem wird der Umgang mit der Notfallausrüstung regelmäßig in den Teams mit den Coaches geübt. Was ich sehr wichtig finde. Die Ausrüstung besteht aus Helm, Protektoren und der Notfall-Ausrüstung: LVS Gerät, Schaufel, Sonde und Rucksack. Und ja, bei Freeride World Tour Events muss man auch mit Airbag Rucksäcken fahren.
Jana, wie sieht dein Rennplan für die Saison 24/25 aus?
Jana: Mein erster Event wird im Kühtai sein. Anschließend geht es zur Junioren WM nach Kappl. Wir starten also sofort „Vollgas“ mit dem wichtigsten Wettbewerb des Jahres. Aber ich freue mich schon sehr drauf, auch meine Freunde vom letzten Jahr aus der ganzen Welt wieder zu treffen und mit ihnen zu shredden. Danach werde ich versuchen, viele „3 Stern – Junior“ Events zu fahren, um viele Punkte für die Gesamtwertung der Junioren zu ergattern. Heuer wird es uns oft in die Westalpen treiben, denn ich will die Faces dort kennen lernen. Die Berge sind dort oft steiler und alpiner. Ich glaube, das bringt mir für die Zukunft sehr viel, wenn ich mich jetzt schon daran gewöhne.
Wie stellt sich die Szene weltweit dar?
Jana: Die Freeride Szene ist total bunt, das kann man sagen. Die Neuseeländer haben sich letztes Jahr zum Beispiel beinahe alle einen „Vokuhila“ Haarschnitt schneiden lassen. Einige färbten sich die Haare dazu gelb oder grün. Es sind echt viele schräge Vögel unterwegs. Das ist so lustig, denn wir Österreicher sind da oft die Braven. Da müssen wir noch etwas dran arbeiten ;-). Das Schönste ist allerdings, dass wir alle gemeinsam Gas geben und uns füreinander freuen, wenn jemandem z.B. ein Trick gelingt. Auch motivieren wir uns gegenseitig, etwas Neues zu probieren. Somit ist es ein „voll cooler Haufen“!
Geli: Es ist auch für mich als Mama schön zu sehen, dass die Kids nach dem Event zusammen Skifahren gehen und Spaß haben, bis es zur Preisverteilung kommt. Sie motivieren sich gegenseitig, freuen sich füreinander und schauen dabei aufeinander. Das ist toll zu beobachten. Außerdem braucht Freeriden wenig Infrastruktur. Ein Skilift genügt und dann einfach raus in die Natur. Es müssen nicht die höchsten oder steilsten Berge sein und es muss auch nicht unverspurt sein. Freeriden kann man fast überall!
Fotos: Nordica/Simon Rainer, FWT/Mia Knoll, Jakub Sedivy