Interview mit dem Innsbrucker Bischof Hermann Glettler über die Fastenzeit
Fasten bedeutet für viele Verzicht auf Alkohol oder Fleisch. Die Gründe, in der Zeit vor Ostern vor allem auf Genussmittel zu verzichten, sind individuell. Für manche ist es der Wunsch, der Bikinifigur oder dem Sixpack am Schotterteich näher zu kommen, für andere aber auch religiöse Tradition. FREIZEIT-TIROL traf den Experten, Bischof Hermann Glettler, zum ausführlichen Gespräch über Geschichte, Tradition, Kuriositäten und den gesellschaftspolitischen Aspekt des Fastens...
Wie ist das kirchliche Fasten entstanden, was ist der religiöse, kirchliche Hintergrund dabei?
Fasten ist in der Tradition unseres kirchlichen Glaubens bedeutsam als Training für die Seele. Sie muss durch einen freiwilligen Verzicht für Gott und das Leben sensibler werden. Aber nicht nur das. Es gibt im Jahreslauf Feste und festliche Zeiten. Um deren Inhalt zu erfassen und in ihrer Tiefe auskosten zu können, ist eine Vorbereitung nötig. Ähnliches gilt für jedes bedeutsame Ereignis, auch für eine sportliche Herausforderung oder eine anspruchsvolle Bergtour. Fasten dient der Vorbereitung auf ein wichtiges Fest - es geht um eine innere und äußere Vorbereitung. "Vollgestopft" mit Nahrung und vielen anderen Dingen wäre man nicht aufnahmefähig. Die großen Fastenzeiten waren eine spirituelle Vorbereitung auf Weihnachten und Ostern. Ja, ursprünglich war auch der Advent eine Fastenzeit, in der orthodoxen Kirche bis heute noch. Die Fastenzeit soll der inneren Nahrungsaufnahme dienen - durch Zeit für Gespräche, Lesen in der Bibel, persönliches Gebet oder einfach nur Stille.
Hat das Fasten darüber hinaus eine aktuelle Bedeutung?
Fasten meint eine Unterbrechung des Gewohnten. Es tut dem Menschen einfach gut, wenn er sich selbst einer Herausforderung stellt. Not always more of the same! Weniger ist mehr! Das gilt ganz allgemein angesichts der ökologischen Krise, in der wir uns befinden. Wenn wir mit unserem Lebensstil der "Zuvielisation" so weitermachen wie bisher, d.h. unsere hohen Wohlstands-Ansprüche nicht reduzieren, dann werden wir unseren Globus garantiert in eine finale Erschöpfung treiben. Der freiwillige Verzicht auf Konsumgüter wird zukünftig eine noch viel größere Bedeutung bekommen. Beim Fasten geht es also nicht nur um die Bikinifigur oder um das besorgte "Wie fühle ich mich wohler?", sondern grundsätzlich um die Frage des Lebensstils. Wollen wir weiterhin auf Pump, Ausbeutung und maximale Optimierung setzen oder doch aufmerksamer und maßvoller leben? Das Fasten, bzw. die Fastenzeit könnte eine Einübung in ein bewussteres Leben sein. Es ist nicht die Kasteiung des Körpers gemeint, diese geschieht in den Fitnessstudios. Dort muss der Body getrimmt werden. Fasten ist eine wohltuende Unterbrechung.
Somit wirkt Fasten eigentlich befreiend?
Ja klar, Fasten ist die Einübung für einen maßvollen Lebensstil. Das ist befreiend und heilsam. Die Herausforderung besteht darin, nicht nur auf Unnötiges zu verzichten, was uns ja der Hausverstand schon nahelegt, sondern auch auf gute Sachen. Ich bin so frei, dass ich nicht alles konsumieren muss. Ich bin glücklich, ohne alle Gelegenheiten ausgeschöpft zu haben. Diese Lebenshaltung wird uns insgesamt zufriedener machen. Die traurige Alternative dazu ist, dass wir immer hinter versäumten Optionen herlaufen. Für uns alle wird die Liste der unerfüllten Wünsche zum Ende des Lebens hin doch immer länger. Man muss sich mit dieser Liste versöhnen, um nicht zu verbittern! Die Fastenzeit ist somit eine befreiende "Frei-Zeit".
Früher war ja der Freitag das ganze Jahr fleischlos?
Ja, der Freitag gilt in der katholischen Tradition als wöchentlicher Fasttag. Er erinnert uns an den Todestag Jesu. Das sogenannte "Fleischfasten" wurde gestrichen und ersetzt durch die Aufforderung, persönliche Akzente des Fastens zu setzen - jeder Gläubige so wie er möchte. Das funktioniert leider nicht gut. Das Freitagsfasten ist fast zur Gänze verschwunden. Vielleicht brauchen wir einfach konkrete Vorgaben. Das Fleischfasten könnte gerade jetzt ein deutliches und nachhaltiges Signal sein. Weniger Fleischkonsum würde uns und der Umwelt nicht schaden, ganz im Gegenteil. Vor allem sollte der Import von Fleisch aus Südamerika sofort gestoppt werden.
Unsere Fastenzeit ist nicht so streng wie der Ramadan. Gibt es fastenfreie Tage bzw. eine Befreiung von diesem Fastengebot?
Gut, dass Sie mir das Stichwort liefern. Die christliche Fastenzeit wird vielen Zeitgenossen erst wieder durch den muslimischen Ramadan bewusst. Das strenge Fasten der Muslime fällt jedem auf. In dem Multikulti-Eck, in dem ich in Graz war, gab ich den Menschen auf die Frage, was die Fastenzeit sei, die Antwort: "Der katholische Ramadan!". Das war den Leuten ein Begriff. Dispensiert vom Fastengebot sind übrigens Kinder, kranke, alte und gebrechliche Menschen, sowie Reisende. Doch unser Fastengebot ist ohnehin sehr schwach ausgeprägt.
Sonntage sind ja ausgenommen?
Ja, am Sonntag feiern wir Christen die Auferstehung Jesu und unsere Hoffnung auf ein ewiges Leben. Sonntage sind somit Tage zum Feiern und zum Entspannen und als solche vertragen sie kein Fasten. "Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn!", sagte schon die Hl. Teresa von Avila. Neben den Sonntagen sind auch die verschiedenen Feiertage und die Oktaven (acht Tage) nach den großen Festen "Verbotszonen" für das Fasten. In dieser Zeit muss man feiern! Die durch Fasten und Feiern "geprägten Zeiten" im Jahr sind hilfreich, um dem Leben insgesamt einen Rhythmus zu geben. Wenn alles immer gleich dahinläuft, ist kein Tag mehr ausgezeichnet, es wird alles gleich, alltäglich. Durch die Feste wird dem Leben ein Glanz aufgesetzt.
Wie fasten Sie persönlich?
Ich bin kein Weltmeister im Fasten. Ich kann schöner und entspannter über das Fasten reden. Ich werde trotzdem auch heuer wieder ein paar Vorsätze fassen. Eigenartigerweise gehört auch das Brechen der schönen Vorsätze zum Fasten irgendwie dazu. Wir würden sonst wohl ein wenig hochmütig werden - wenn wir uns gar so großartig im Griff hätten. Mein lustigstes Erlebnis diesbezüglich: Ich nahm mir einmal vor, in der Fastenzeit auf Fleisch zu verzichten. Meine Mutter hatte einige Tage nach Aschermittwoch Geburtstag. Bei einer kleinen Feier gab es tolle Brötchen. Als ich bereits einige genussvoll verspeist hatte, fiel mir mein Vorsatz ein. Kleines Erschrecken, aber es war zu spät. Der Verzicht auf Alkohol ist bei mir in der Fastenzeit aber ein Fixpunkt. Das wirkt auch reinigend.
Wie kann man noch fasten?
Fasten kann auch alternativ gestaltet werden. Eine Empfehlung wäre ein Verzicht auf Kritik- und Meinungsfasten, dass ich also nicht alles besserwisserisch kommentieren muss. Oder Social Media Fasten. Eine wertvolle Möglichkeit ist auch das Auto- Fasten, um anstelle dessen bewusst mit den Öffis oder mit dem Fahrrad zu fahren. Das sind zwei konkrete Ansätze, die genauso außerhalb der Fastenzeit wichtig wären. Es gibt auch die offensichtlichen und versteckten Abhängigkeiten, in die man heutzutage leicht hineinrutscht. Das kann neben den klassischen Süchten auch eine Arbeitssucht sein oder ein Hobby, das längst schon alle Dimensionen der Verträglichkeit für Familie und Partnerschaft sprengt. Hier bietet die Fastenzeit eine Chance, sich dessen bewusst zu werden und diese Abhängigkeiten in Frage zu stellen.
Welche Akzente setzt die Diözese 2020 in der Fastenzeit?
In meinem Fastenhirtenbrief wird es heuer um eine "Kultur der Versöhnung" gehen. Das ist ein Thema, das die ganze Gesellschaft betrifft. In einer Zeit, in der man rasch verurteilt, Sündenböcke sucht und sich selbst gerne in der Opferrolle sieht, um "die Anderen" zu beschuldigen, ist das Thema Versöhnung enorm wichtig. Ich glaube, dass viele Menschen eine Menge unversöhnter Altlasten mit sich herumtragen und sich wundern, dass dadurch viel innere Energie "abgesaugt wird". Dieses Thema wird die diesjährige Fastenzeit bei uns prägen. Wir werden in den Pfarren konkrete Vorschläge machen, wie sich Menschen mit sich, mit Gott und mit ihren Nächsten versöhnen können. Vergeben ist dabei ein Schlüsselwort. Neben diesem Akzent wird es auch wieder die sogenannten "Exerzitien im Alltag" geben - das sind wöchentliche Treffpunkte mit geistlichen Impulsen und Anleitungen für die Woche.
Zum Abschluss Mythen und Gerüchte rund um die Fastenzeit: Wie entstand z.B. das Fastenbier?
Es war der Kalorien-Ersatz für das Fasten - ein besonders starkes Bier. Bestimmte Klöster, vor allem Mönchsgemeinschaften waren sehr erfinderisch, das Fastengebot zu unterlaufen. Auch die Fischvariationen sind ein Teil davon - sie mussten das Fleisch ersetzen und wurden zu außerordentlichen Leckerbissen. In diesem Zusammenhang will ich sagen, dass ich das Getue rund um den Heringsschmaus sehr eigenartig finde. Den Tag, an dem die offizielle Fastenzeit beginnt, sollte man anders begehen.
Noch eine halbernste Frage: Darf man in der Fastenzeit Wassertiere essen?
Es gibt eine Menge Kuriositäten und Spitzfindigkeiten im Umfeld des Fleischfastens. Beispielsweise war der Biber ein Trick: Er durfte auf die Speisekarte der Klöster, weil er ja auch im Wasser schwimmt...! All das sind Nebengeleise. Mir ist die Grundbotschaft wichtig: Fasten wäre ein Weg, ein Training, um bewusster und dankbarer zu leben. Es täte uns allen sehr gut, ein maßvolles Leben und einen entsprechenden Rhythmus einzuüben.
Text und Fotos: Bernhard Schösser