Gipfelstürmer + Wettersteiner - Berggeschichte aus Innsbruck

Gipfelstürmer & Wettersteiner - Berggeschichte aus Innsbruck!

Bergsport boomt. Ebenso steigen die Mitgliederzahlen im österreichischen Alpenverein. Weniger bekannt sind die Hochgebirgsgruppen des Alpenvereins. Das sind ehemals eigenständige Bergvereine mit langer Tradition, die nach dem 2. Weltkrieg in den Alpenverein eingegliedert worden sind. FREIZEIT TIROL traf die Tiroler Bergsportlegende Otti Wiedmann, der 12 Jahre Präsident der Gipfelstürmer war und Helmut Aschauer, den amtierenden Präsidenten der Wettersteiner, um die Geschichte dieser zwei Alpinen Gesellschaften zu beleuchten.

Wie sind eure Alpinen Gesellschaften entstanden?
Otti: In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, so um 1907, 1908, ist eine kleine Gruppe gleichgesinnter, bergbegeisterter Freunde mit einer weißen Fahne in der Bergwelt rund um Innsbruck unterwegs gewesen. Im Sommer 1911 wurde der Entschluss gefasst, sich in einem Verein zu organisieren. So wurde am 19. November 1911 im Gasthaus Oberrauch am Wiltener Platzl die "Alpine Gesellschaft Gipfelstürmer" gegründet. Es waren 11 Gründungsmitglieder. Schon bald wuchs unser Verein auf ca. 30 Mitglieder. Es waren allesamt Bergsteiger, die man zu dieser Zeit der schärferen Richtung zuordnete. Das damals gültige Prinzip in unserem Verein, sich rege an der Erschließung - besonders der heimischen Bergwelt - zu beteiligen, wurde eindrücklich wahrgenommen. Die namhaften Gipfel der Alpen waren zwar schon auf den leichtesten Routen erobert, aber an den steilen Wänden und Flanken gab es noch jede Menge Erschließungsarbeit zu tun. Selbst heute gibt es noch kaum berührte Zonen, die auf Entdecker warten. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Kristallwand am Kirchenkogel in den Ötztaler Alpen, die an ihrer steilsten Flanke erst in den letzten Jahren durch Hansjörg Auer und David Lama zwei neue Routen verpasst bekam. Die Riepenwand Nordwestwand, die eine Gipfelstürmerseilschaft bereits 1914 erstmals bezwang, wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder von unseren Vereinsmitgliedern auf neuen Routen erobert. Von den derzeit 9 Routen, die es von Nordwest bis West in der Riepenwand gibt, sind sechs (!) von Gipfelstürmern erstbegangen worden.

Helmut: Am 1. August 1907 gründeten 22 begeisterte Bergsteiger die "Alpine Gesellschaft Wettersteiner" im ehemaligen Innsbrucker Gasthaus Flunger. Obmann Hans Seelos spendierte zur Gründung 150 Kronen und diverse Ausrüstungsgegenstände. Der damalige Leitgedanke hat sich bis heute nur unwesentlich verändert: "Zweck der Gesellschaft ist die Förderung des Alpinismus (...) durch gemeinsame Hochtouren und Ausflüge, durch gesellige Zusammenkünfte und alpine Vorträge sowie durch literarische Arbeiten". Die Wettersteiner übersiedelten 1910 in den Gasthof Sailer, wo sie heute noch - im "Wettersteinerstüberl" - jeden Donnerstag ihren wöchentlichen Vereinsabend abhalten. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Verein als Gruppe im Österreichischen Alpenverein, Zweig Innsbruck, neu konstituiert.1962 rettete Max Nagiller jun. (späterer Obmann und Ehrenmitglied, verstorben 2016) die zahlenmäßig zusammengeschrumpften Wettersteiner, indem er 10 neue Mitglieder aus der Jungmannschaft zum Verein brachte. Ein neuer Aufschwung begann. 1967, mit anhaltendem Zustrom von jungen Mitgliedern, erfolgte die Aufnahme in den Status einer HG (Hochtouristengruppe) im Alpenverein.

Was waren die spektakulärsten Erstbegehungen eurer Vereine?
Helmut: Bei uns konnte Hermann Buratti 1958 den nach ihm benannten Burattipfeiler an der Speckkarspitze im oberen fünften Schwierigkeitsgrad erstbesteigen und auch einige andere Erstbegehungen vollbringen. Ansonsten zeichnen sich die Wettersteiner eher durch gemeinschaftliche Aktivitäten im "mittleren Schwierigkeitsbereich" aus. Natürlich gibt es immer wieder sportliche Höchstleistungen von Mitgliedern unseres Vereins. So beispielsweise Wolfgang Wippler, der 1985 den Pumori (7.185 m) bestieg, und damit immer noch der "höchste" Wettersteiner ist. Oder Gregor Staggl, der 2017 bis zum Schwierigkeitsgrad 8a kletterte.

Otti: Die Riepenwand wurde schon erwähnt. In den 30er Jahren die Nordostwand der östl. Praxmarerkarspitze und der damals direkte Durchstieg durch die Nordwand der Lalidererspitze. In den 50er Jahren die direkte Südwand der Scharnitzspitze durch den damals blutjungen Walter Spitzenstätter. In den 70er Jahren war es vor allem Reinhard Schiestl, dem an der Marmolada Südwand während der neuen Freikletterepoche zahlreiche Erstbegehungen mit minimalstem Materialaufwand gelangen. Auch Kurt Schoißwohl und Egon Wurm waren an der Mamolada-Ombretta-Südwand erfolgreich. 1988 sorgten Thommy Bonapace und Andi Orgler am Mount Dickey mit der sogenannten "Winebottle" für die vermutlich größte Erstbegehung einer Gipfelstürmerseilschaft: 1600 m Wandhöhe mit 53 Seillängen im Alpinstil ohne Bohrhaken bis VII+/A3. Es gilt übrigens bei fast allen Mitgliedern der Gipfelstürmer ein striktes "Nein" zum Bohrhaken in alpinen Routen. 1990 wurde mit der ersten Begehung der Kastenwand an der Äußeren Ilmspitze durch Andi Orgler und mich die schwierigste Route der gesamten Stubaier Alpen eröffnet (Schwierigkeit VIII-/VIII).

Andi und mir sind auch einige Schi-Erstbefahrungen gelungen. Andi die erste integrale Befahrung der Ortler Nordwand und die Südostwand der Großen Ochsenwand. Mir gelang die erste Befahrung der Nordostwand am Hohen Seblaskogel und die direkte Nordostwand der Cima di Rosso sowie die Fußstein Südwest Flanke. Die zweite Befahrung schaffte übrigens David Lama.

Habt ihr, quasi als Vereinswahrzeichen, "eigene" Berge?
Helmut: Die Rötenspitze im Obernbergtal, wo wir auch jedes Jahr Bergfeuer machen.
Otti: Die Gipfelstürmernadel in unmittelbarer Nähe des Erlspitzgipfels beim Solsteinhaus.

Die "Melzerknappen", ebenfalls eine Hochgebirgsgruppe, schreiben auf ihrer Homepage: "Kurz und schmerzlos: Mitglieder sind nur Männer". Wie sieht das bei euren Vereinen aus?
Otti: Bei den Gipfelstürmern ist für Frauen keine Mitgliedschaft möglich. Als Gäste sind die Damen natürlich immer willkommen. Das ist übrigens in den Statuten aller Hochgebirgsgruppen im Raum Innsbruck so festgeschrieben. Meines Wissens sind die "Karwendler" die einzige Ausnahme, die eine Frau im Verein haben.
Helmut: Bei den Wettersteinern gibt es keine weiblichen Mitglieder, obwohl die Aufnahme von Frauen in unseren Statuten nicht ausgeschlossen ist. Damen und auch männliche Gäste schließen sich jedoch regelmäßig unseren Touren an.

Wie sieht die aktuelle Situation im Bergsport und in euren Vereinen aus?
Helmut: Wie bereits einleitend angesprochen, zählt bei den Wettersteinern nicht allein die Tour, der Gipfel oder die Schwierigkeit der Route. Vielmehr ist es uns wichtig, Bergabenteuer, Spannung und Neues abseits des Alltagstrotts gemeinsam zu erleben, möglichst mit Humor und guter Stimmung sowie Begeisterung am Bergsport hervorzurufen und weiterzugeben. Klar ist, dass nicht jede Tour für jedes Vereinsmitglied passend ist. Zu unterschiedlich sind wir aufgrund unserer Interessen, des Alters und der körperlichen Fähigkeiten. Gerade in der Schitourensaison lässt sich aber oft ein gemeinsamer Nenner finden. So ist es keine Seltenheit, dass sich bei unseren wöchentlich durchgeführten Samstagstouren mehr als 20 Personen beteiligen. Dasselbe gilt auch für unsere Auslandsfahrten. Nicht ausschließlich am Berg, auch bei anderen Unternehmungen sind die Wettersteiner alljährlich dabei: Der Wettersteinerball - einer der wenigen Maskenbälle Innsbrucks - erfreut sich einer langen Tradition und nach wie vor noch großer Beliebtheit. Weitere Fixpunkte im Vereinsjahr bilden Julfeier, Wegmarkierungsarbeiten, Familienausflug, Törggelen sowie alpine Fortbildungen wie z.B. Lawinen- oder Erste Hilfe Kurse. So haben wir mit aktuell 62 Mitgliedern auch kein Nachwuchsproblem. Im Gegenteil, durch die Weitergabe unserer alpinen Erfahrungen und wegen des guten Vereinsklimas stellen immer wieder neue Bergsportler einen Aufnahmeantrag bei uns.

Otti: Bei uns sieht es etwas anders aus. Seit rund zwei Jahrzehnten leiden wir, wie die meisten anderen Vereine, an einem gewissen Nachwuchsmangel. Ich denke, weil Alpinklettern fast zur Gänze vom Sportklettern abgelöst wurde. Heute sind 80 Prozent oder mehr Sportkletterer, die auf ein Vereinsleben verzichten. Wenn du heute im Karwendel in die Laliderer Wände oder auch in die Wände der Stubaier schaust, die sind fast leer. Es gibt vereinzelte, kleine Grüppchen, die das Alpinklettern wieder beleben wollen, aber das sind nur sehr wenige. Einen Boom gibt es aktuell beim Eis- und Wasserfallklettern mit zum Teil fix abgesicherten Routen. Auch das Schitourengehen wächst rasant, aber wenn wir ehrlich sind: 70 Prozent davon sind Pistenschitourengeher. Auf den "Hammertouren" in Tirol bist du immer noch fast alleine

 


Redakteur: Bernhard Schösser
Fotos: Archive Helmut Aschauer, Otti Wiedmann