Kurt Matzler - der ultraradelnde Professor

Mitte der 1990er Jahre an der Universität Innsbruck: Der Verfasser dieser Zeilen war neben dem BWL-Studium als semiprofessioneller Mountainbike-Rennfahrer tätig. Kurt Matzler, damals Assistent am Institut für Unternehmensführung, startete mit dem Rennradfahren. Immer wieder gab es zwischen uns Gespräche über Training und Wettkampf, bevor sich unsere Radsportkarrieren diametral entwickelten. Im Sommer 2020 machte Kurt Matzler mit der Umrundung Österreichs Schlagzeilen. Grund genug den mittlerweile zum Professor für strategisches Management an der Universität Innsbruck und zum wissenschaftlichen Leiter des Executive MBA-Programmes am MCI in Innsbruck aufgestiegenen Extrem-Radler zum ausführlichen Interview zu bitten.

Kurt, wie bist du zu deiner Passion, den Langstrecken, gekommen?

Mitte der 90er habe ich mit dem Rennradfahren angefangen, meine Kinder waren damals klein. Die langen Distanzen versuchte ich erstmals 1999 mit dem Radmarathon „Trondheim-Oslo“. Dieser Marathon findet immer zu Sonnwend statt, die Veranstaltung ist ein riesiges Volksfest. Die Leute sind die ganze Nacht im Freien beim Lagerfeuer. Es sind mehrere Tausend Radfahrer am Start, viele mit dem Ziel, einfach anzukommen. Nur das Wetter spielt nicht immer mit, du kannst Regen, Schnee, Kälte, alles erwischen! Ein paar Freunde, die dort schon gefahren waren, überredeten mich - aus Jux heraus - mitzufahren. „Es geht eh immer bergab“ hatten sie gesagt. In Wahrheit legst du auf den 540 Kilometern fast 4.000 Höhenmeter zurück, diese Premiere war für mich äußerst brutal!

Wie ging es dann weiter?

Ich intensivierte nach dieser Erfahrung mein Training. Zwischen drinnen gab es ein paar Jahre, in denen ich weniger radelte. Schließlich hat mich der „Ötztaler“ gereizt (Anmerkung: 238 km, 5.500 Höhenmeter). 2007 bin ich dieses Rennen das erste Mal gefahren, daraufhin sieben Mal hintereinander, bis ich irgendwann genug vom „Ötzi“ hatte. Über Rotary und die „Fellowship Cycling to Serve“ kam ich zum richtigen Langstreckenfahren. Bei „Cycling to Serve“ wird das Radfahren mit Charity verbunden. Der damalige Präsident, Meinhard Huber, fragte mich, ob ich die Strecke von Weiz in der Oststeiermark nach Bregenz mitfahren wollte. Das sind rund 600 Kilometer und 8.000 Höhenmeter nonstop. Ziel war es, Spenden zur Ausrottung der Kinderlähmung zu sammeln. Es war eine tolle Erfahrung mit ein paar Rotariern durch ganz Österreich zu radeln, die ich gerne wiederholen wollte. Zwei oder drei Jahre später kontaktierte mich Meinhard wieder. Er stand in Kontakt mit drei rotarischen Amerikanern, die beim Race across Amerika (RAAM) noch einen Fahrer suchten, und fragte mich, ob mich das interessiere.

Das war der Einstieg zum härtesten Radrennen der Welt?

Richtig. Erstmals startete ich 2016 im Vierer-Team. Unser Ziel war es, innerhalb von 7 Tagen anzukommen. Das RAAM ist ja bei wechselnder Streckenführung immer zwischen 4800 und 5000 Kilometer lang, gespickt mit rund 52.000 Höhenmetern. Wir benötigten damals 7 Tage und eine oder zwei Stunden und sammelten dabei über 300.000 US-Dollar zur Ausrottung der Kinderlähmung. Das hat uns so gefallen und motiviert, dass wir planten, es im darauffolgenden Jahr zu wiederholen.

Es gab dann eine kleine Planänderung…

Ja, wir hatten ein Vierer-Team aus zwei Tirolern und zwei Amerikanern zusammengestellt. 6 Wochen vor dem Start musste mein Kollege aber aus gesundheitlichen Gründen absagen. So sagte ich zu meiner Frau Ruth, die ja schon mehrfach den „Ötztaler“ gefahren war, sie müsse einspringen. Eigentlich wäre sie ja für die Crew im Begleitauto vorgesehen gewesen. „Du musst das sehen wie einen Urlaub, ein wenig verschärfter Urlaub“, erklärte ich ihr, da wir im Urlaub täglich 6 bis 8 Stunden gemeinsam Rad fahren. Es hat sie ihre Teilnahme dann so begeistert, dass wir im gemischten Vierer-Team 2018 und 2019 nochmals gefahren sind. Beide Jahre waren wir die Gewinner dieser Kategorie, jeweils mit neuem Rekord. Insgesamt gelang es uns in Summe über drei Millionen US-Dollar an Spendengeldern zu sammeln, was über 5 Millionen Impfungen in Entwicklungsländern für Kinder gegen die Kinderlähmung brachte. (Anmerkung: Diese Aktion ist auch im Wikipedia-Eintrag des RAAM erwähnt!).

Wie entstand die Idee zur für 2021 geplanten Soloteilnahme beim RAAM?

Wir waren bei der Pressekonferenz zum RAAM eingeladen. Teamintern gab es einen „Running Gag“: „Wenn wir es schaffen, mehr als eine Million an Spendengeldern zu lukrieren, dann fahre ich solo!“. Das ist mir bei der Pressekonferenz rausgerutscht. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir rund 900.000 Dollar, nach dem Rennen waren es 1,2 Millionen, jetzt muss ich solo starten! Um mich an dieses Unterfangen heran zu tasten, bin ich 2019 das „Race across Italy“ gefahren. Ein Rennen mit ca. 800 Kilometern und 12.000 Höhenmetern, fast nonstop, in 41 Stunden. Zur weiteren Vorbereitung plante ich in diesem Jahr das „Race around Austria“ zu versuchen. Wenn das klappen sollte, wäre ich für den Solostart beim RAAM 2021 bereit. Das Rennen in Österreich ist der härteste Qualifikationswettbewerb für das RAAM, rund 2.200 Kilometer und mehr als 30.000 Höhenmeter sind zu bewältigen. Mir gelang diese komplette Umrundung von Österreich entlang der Grenzen Mitte August in fünf Tagen, zwei Stunden und 27 Minuten.

Wie verbindest du dein Training mit dem Beruf des Universitätsprofessors?

Meine Frau und ich pushen uns gegenseitig. An den Wochenenden absolvieren wir lange Einheiten am Rad. Wenn das Wetter hier schlecht ist, reisen wir nach Südtirol und trainieren dort. In jedem Urlaub haben wir die Fahrräder mit, wie erwähnt stehen 6-8 Stunden Ausfahrten am Programm. Während der Woche radle ich im Sommer am Abend, im Winter vor der Arbeit, in der Früh, auf der Rolle. Insgesamt komme ich so auf rund 20.000 Kilometer pro Jahr, davon 5.000 km auf der Rolle. Hier erledige ich, auf dem Lenker aufgelegt, die Lesearbeit fürs Büro, verknüpfe das Training mit etwas Sinnvollem für den Job. Das ist sehr gut machbar, da ich auf der Rolle Grundlagen trainiere und als Professor sehr viel lesen muss. Während des Lockdowns im Frühjahr bin ich täglich drei Stunden zuhause gefahren, da habe ich zusätzlich Webinare am Tablett angesehen. Ergänzend zum Radfahren gehe ich im Winter rund 40 Skitouren als Ausgleich und komplettiere mein Sportprogramm einmal in der Woche mit EMS-Training (Anmerkung: Elektro-Muskel-Stimulation), das ist für Rumpf, Nacken und Oberkörper wichtig.

Und jetzt bereitest du dich für das RAAM im Juni 2021 vor?

Richtig, ich habe die Strecke genau geplant und analysiert. Mein Ziel ist es, in 11 Tagen anzukommen, 12 Tage ist maximal Zeit. Ich habe also einen Zeitpuffer für Allfälliges, da du ja mit allen möglichen Problemen auf so einer Distanz rechnen musst. Sei es, dass ein Begleitfahrzeug kaputt wird, du einen Defekt hast oder nur eine längere Schlafpause brauchst. Das Rennen fordert dir alles ab: Neben dem Schlafentzug ist es die Hitze in Arizona, Anstiege auf mehrere Pässe mit 3.000 Metern Höhe. Der höchste ist der Wolfs Creek Pass in den Rockies mit 3.300 Metern, weiters 1000 km flach in Kansas mit Gegenwind, dazu der enorme Verkehr auf den Highways…
 

„Schlafen“, wie gehst du mit diesem Thema um, ich nehme an, so wenig Schlaf wie möglich?

Nein, es gibt zwei Strategien: Die erste ist tatsächlich so wenig wie möglich zu schlafen. Das ist die Marschrichtung von Christoph Strasser (Anmerkung: Der Steirer ist aktuell alleiniger Rekordhalter beim RAAM, da er das Rennen 6 Mal gewonnen hat).

Die andere Strategie, die ein deutscher Arzt vor ein paar Jahren erstmals ausprobierte, sind 4-5 Stunden Schlaf pro Tag. Damit kannst du zwar das RAAM nicht gewinnen, doch du kommst durch. Du hast eine bessere Regeneration deines Körpers und bist in der Zeit, wo du fährst, schneller. Das ist mein Vorhaben. Ich habe sämtliche Pausen, Wechsel, alles im Detail in Exel geplant. Ich habe bereits die Hotels gebucht, da die Erholung dort wesentlich besser ist als im Wohnmobil. Im ersten Jahr schliefen wir im Wohnwagen, da ist uns in der Wüste bei 50 Grad die Klimaanlage ausgefallen. Auch bietet dir ein Hotel eine bessere Infrastruktur. Der Nachteil ist, wenn du einmal einen schlechten Tag hast, und das Hotel ist noch 40 Kilometer entfernt, dann musst du diese Strecke trotzdem fahren.

Wie sieht dein Begleitteam aus?

Ich habe 9 Leute in drei Minivans mit dabei. Diese wechseln sich ab, mit 8 oder 9 Stunden Schichten, da es sich ein wenig überlappt. Dann fahren die anderen in ihrer Pause inzwischen weiter ins Hotel, um sich auszuruhen. Toll ist, dass in einem Auto voller Amerikaner auch Bob McKenzie sitzt. Bob hat 2016 das Team „Rotary Raams Polio“ gegründet und ist mit uns 2019 mit 67 Jahren noch im Viererteam mitgefahren! Umsetzbar ist dieser enorme Aufwand nur durch meine Sponsoren – ich möchte meinen Partnern Adler, Oleovital, Fresubin, Zanier, Eurosport Nutrition, BellaBambi, Innovative Management Partner (IMP), Physio 1.0 und Daunenstep danken. Die gute Nachricht: Es gibt für das RAAM 2021 noch Sponsorenpakete, da wir aktuell noch Unterstützung benötigen!

Was mir neben dem sportlichen Aspekt aber immens wichtig ist, und worauf auch meine beiden mittlerweile erwachsenen Söhne stolz sind, wenn ihr Vater dauernd radelt, ist die Verbindung mit unserem großen Charitiy-Projekt. Beruflich habe ich eine eigene Lehrveranstaltung rund um dieses Thema aufgebaut: Was können Führungskräfte aus solchen Extremprojekten lernen? Es dreht sich um Motivation, Disziplin, Leadership und Ähnliches. Ich halte bei Firmen viele Vorträge. Die Honorare spende ich alle in unser Projekt.

Wer dieses tolle Projekt von Kurt Matzler und den Rotariern ebenfalls unterstützen möchte, kann das auf folgendem Konto machen:
Cycling to Serve Austria, IBAN: AT59 2032 0322 0228 5619

Die Melinda und Bill Gates Foundation verdreifacht diese Spenden. So können mit einer Spende von nur 10 Euro 50 Kinder die rettende Impfung bekommen.

Kontakt zu Kurt Matzler: kurt.matzler@uibk.ac.at

Text: Bernhard Schösser
Fotos: Archiv Kurt Matzler, Bernhard Schösser