Lukas Ruetz ist begeisterter Skibergsteiger mit Hang zu ultralangen Skidurchquerungen an einem Tag und steilen Erstbefahrungen in seiner Heimat, dem Sellraintal. In einer Saison bringt er es dabei auf über 140 Skitouren und mehr als 150.000 Höhenmeter. Außerdem betreibt er den Onlineblog www.lukasruetz.at mit sehr vielen nützlichen Informationen zum Thema Skitouren und Lawinen und hält regelmäßig Vorträge zum Thema Lawinenkunde. Lukas Ruetz kennt sein Revier, die Sellrainer Berge, wie wohl kaum ein anderer. FREIZEIT-TIROL traf den sympathischen Alpinisten im Gasthaus der Familie Ruetz in Sankt Sigmund.
Seit wann betreibst du deine Onlineseite, wie bist du auf die Idee dazu gekommen?
Nun, zum Tourengehen brachte mich meine Familie, da mein Vater sehr viel in den Bergen unterwegs war. Zum Thema „Schnee und Lawinen“ brachte mich mein leider kürzlich verstorbener Klassenvorstand Christian Mader vom Gymnasium am Adolf Pichler Platz in Innsbruck. Dieser war ebenfalls begeisterter Tourengeher und schlug mir zur Matura in Geografie vor, über Schnee und Lawinen zu schreiben. Ich fand die Idee gut, kaufte mir ein paar Bücher zu diesem Thema, las sie und war total gefesselt davon.
Du konzentrierst dich mit deinen Beiträgen auf dein Heimatrevier, die Sellrainer Berge. Warum?
Der Vorteil ist, dass ich mich hier nicht nur geografisch super auskenne, sondern das Wetter und die Niederschläge regelmäßig beobachten kann. Es ist schon zwischen dem Sellraintal und dem Ötztal oder dem Wipptal ein kleiner Unterschied. Dieser Unterschied wird riesig, wenn du über einen Umkreis von mehr als 50 Kilometern hinausgehst. Dort bist du bei weitem nicht so mit den aktuellen Verhältnissen vertraut wie zuhause, wo ich so viel unterwegs bin.
Du beobachtest die Schneelage hier ja den gesamten Winter, verfolgst akribisch den Schneedeckenaufbau und die Umwandlung.
Richtig, ich grabe unzählige Schneeprofile in einer Saison. Dabei sehe ich Schicht für Schicht, was los ist, verfolge also einzelne Schichten, wie sie sich im Zeitverlauf entwickeln.
Was würdest du einem Skitourenanfänger oder jemandem, der von der Pistenskitour ins alpine Gelände wechseln möchte, zum Beginn raten?
Die Grundlage ist sicherlich der Besuch eines Standardlawinenkurses. Hier lernt man mit einer LVS-Ausrüstung umzugehen, also mit Lawinenpieps, Schaufel und Sonde. Wichtig ist es auch, mit dem aktuellen Lawinenlagebericht zu arbeiten. Das sind meistens 2 bis 3 Tageskurse. Was ich jedem wirklich ans Herz legen möchte, ist die Seite „Skitourenguru“ (www.skitourenguru.ch) aus der Schweiz. Diese Seite bewertet tagesaktuell, also am Vorabend, mit dem Lawinenbericht alle dort eingezeichneten Skitouren. Da ist auch der Großteil der bekannten Touren in Tirol bzw. Österreich enthalten. Es wird hier nicht, wie in der Lawinengefahrenstufenskala bekannt, mit Gefahrenstufen gearbeitet, sondern es wird das Risiko für die jeweilige Skitour bewertet, was ja viel relevanter ist.
Das funktioniert mittlerweile auf einem gewaltigen Niveau! Das Portal wird kontinuierlich weiterentwickelt. Für jemanden, der sich mit dem Thema bis jetzt nicht so beschäftigt hat, aber auch für Fortgeschrittene, ist das ein riesiger Mehrwert!
Das heißt, ich kann beispielsweise vor einer Tour auf die Lampsenspitze abfragen, wie es aktuell aussieht?
Ja, genau, wie hoch ist das Risiko auf der geplanten Tour. Natürlich erfährst du nicht, wann und wo genau die Lawine abgeht, das gibt es nie. Aber die Einschätzungen kommen einem Profi vor Ort schon sehr nahe. Die Routen werden farblich bewertet mit grün, orange und rot. Die Empfehlung des Skitourenguru ist bei Rot, dass das Risiko so hoch ist, dass man hier keinesfalls gehen sollte. Bei Orange ist es nur dann empfehlenswert, wenn man sich wirklich sehr gut auskennt und vor Ort nochmals weiter entscheiden kann. Für die breite Masse sind nur grün dargestellte Touren sinnvoll. Das ist der Unterschied zur bei uns bekannten 5-stufigen Lawinenskala.
Mir sind nach dem Besuch deines Vortrags Videos in Erinnerung, die Lawinenauslösungen auf Hängen zeigen, auf denen man so etwas nicht vermutet hätte. Wie kommt es dazu?
Nun, eine ganz wichtige Erkenntnis als Skitourengeher im Winter ist es, dass man von den 5 Lawinenproblemen (Neuschnee, Triebschnee, Altschnee, Gleitschnee, Nassschnee) nur vier auf der Oberfläche erkennen kann. Das „Altschneeproblem“ kann keiner von uns sehen, da wir nicht unter die Schneedecke blicken können. Daher sieht der Hang auch für „Experten“ komplett gefahrlos aus und trotzdem passiert dann etwas. Das Altschneeproblem sieht man im Gelände überhaupt nicht! Erkennbar ist es nur im Lagebericht (www.lawine.report) oder wenn man täglich Schneeprofile gräbt, was aber niemand macht.
Ist eine Veränderung der Lawinengefahrensituation in den letzten Jahren erkennbar?
Gleitschneelawinen treten wesentlich öfter auf als früher. Der vergangene Winter hier im Sellraintal war ein Paradebeispiel hierfür. Es war in den letzten 10 bis 15 Jahren, seit ich Lawinen beobachte, der stärkste Gleitschneewinter. Dazu benötigt es eine dicke Schneedecke, aber auch viel Regen und hohe Temperaturen. Bei uns im Sellrain hat es fast immer geschneit, gelegentlich aber auch stark hineingeregnet. Dadurch rutscht der Schnee bis auf die darunterliegende Wiese ab.
Abseits der Lawinenkunde, wie viele Skitouren gehst du pro Saison, wie viele Höhenmeter ungefähr?
Normalerweise mache ich so rund 140 Skitouren pro Winter. In den letzten beiden Wintern waren es weniger, da wir gerade beim Hausbauen sind… In meiner stärksten Saison bin ich knapp über 200.000 Höhenmeter gegangen, wobei ich von Oktober bis Juni, Juli oder fallweise noch im August im Ötztal unterwegs bin. Insgesamt habe ich über 1,5 Millionen Höhenmeter mit den Skiern zurückgelegt.
Kannst du von deinem enormen Knowhow zum Thema Lawinen leben?
Es beginnt jetzt wieder die Vortragssaison, zumindest mit den Anfragen dafür. Ich bin im gesamten deutschsprachigen Raum buchbar, wobei sich mein Honorar nach der Größe der Veranstaltung richtet. Mit dem Alpenverein mache ich einen Kurs mit dem Titel „Update Schneedeckenuntersuchung“. Das ist ein 4-tägiger Fortbildungskurs, primär für Funktionäre im Alpenverein, der aber auch von normalen Mitgliedern besucht werden kann. Dabei geht es fast ausschließlich um Lawinenkunde und Schneedeckenuntersuchung. Normalerweise gibt es zwei Termine, einer ist im Jänner, der andere ist im Februar oder März. Ich habe auch einen Onlineshop auf meiner Homepage, wo ich Utensilien zur Schneedeckenuntersuchung verkaufe. Für den Lawinenwarndienst Tirol erledige ich die Social Media Arbeiten, außerdem bin ich Beobachter. Für den Alpenverein schreibe ich auch noch über aktuelle Tourenbedingungen. Durch diesen bunten Mix ist das Thema „Schnee & Lawine“ tatsächlich mein Hauptjob. Im Sommer betreibe ich mittlerweile die Bauerschaft meiner Eltern, nütze die Zeit aber auch für Vor- und Nachbereitung des Winters.
Erzähl uns doch abschließend von deiner längsten Sommerskitour?
Das ist der von mir so betitelte „Weißkamm Sommerski Express“. Die Tour führt über den sogenannten Weißkamm, den am stärksten vergletscherten Kamm in Österreich, ich glaube sogar der gesamten Ostalpen. Wir sind am Parkplatz des Kaunertaler Gletscherskigebiets gestartet. Dann gingen wir über die ganzen Gletscher inklusive der Wildspitze zu unserem Ziel, dem Parkplatz des Ötztaler Gletscherskigebiets. Von den Höhenmetern her ist es nicht so schlimm, da du über die Gletscher relativ flach gehen kannst. Es waren ca. 3.200 Höhenmeter, 33 Kilometer lang. In Summe waren wir 11 Stunden unterwegs.
Text: Bernhard Schösser
Fotos: Archiv Ruetz, A.Temple. S.Voitl, B.Schösser