Mountainbike-City Innsbruck?

Alle Jahre wieder, nicht erst durch die coronabedingt ausgelöste „neue Outdoorsportlichkeit“, poppt das Thema „Wanderer-Biker-Naturnutzung“ mit Beginn der Schneeschmelze regelmäßig auf. Die Wanderer fühlen sich bedroht, speziell Downhill-Biker missverstanden und dazwischen wieseln seit einigen Jahren jede Menge E-Biker auf den Bergen rund um Innsbruck rauf und runter. Wie sieht es nun aktuell mit dem Angebot im Großraum der touristisch als „Mountainbike-City“ beworbenen Landeshauptstadt aus? FREIZEIT-TIROL bat Karin Seiler (Geschäftsführerin Innsbruck Tourismus; KS), Lars Lotze (Projektmitarbeiter Bergwelt Tirol Miteinander; LL), Johannes Anzengruber (Ressortzuständiger Vizebürgermeister Stadt Innsbruck; JA), Profibiker Tom Öhler (TÖ), MTB-Urgestein und Bikeparkbauer Christian „Picco“ Piccolruaz (CP) und Daniel Tulla (Fa. Mountain Bike Movement, baut MTB Strecken, Pumptrack und Übungsgelände, Beratung; DT) zum Meinungsaustausch.

Wie siehst du das aktuelle Angebot für Mountainbiker im Großraum Innsbruck?

CP: In der Hauptsaison von Juni bis Oktober ist das Angebot mittlerweile recht ordentlich: Nordkette, Mutterer Alm, Elfer im Stubai und der Bikepark Steinach-Bergeralm bieten genügend Strecken für abwärtsorientierte Biker. Anders sieht es in den Übergangszeiten, vor allem im Frühling, aus. Solange die Lifte noch zu sind, ist der Druck auf die wenigen geöffneten Strecken enorm. Zu diesen Zeiten wird auch vermehrt auf illegalen Strecken gefahren.

LL: Hier gilt es zu differenzieren, das Angebot von legalen Forststraßen (MTB Routen) ist sehr gut, es besteht jedoch ein Mangel an offiziellen Trail Angeboten.

TÖ: Ich bin nach wie vor ein Fan der MTB Stadt Innsbruck, auch wenn ich nicht mehr als Testimonial für die Stadt aktiv bin. Der Arzler Alm Trail ist nach wie vor einer meiner Lieblingstrails und im Bikepark Mutters hat sich auch einiges bewegt. Aber es hapert leider noch an der Anzahl der legalen Möglichkeiten, besonders im Frühjahr und im Herbst, wenn die Bikeparks ihre Pforten schließen. Es wäre mal wieder Zeit für etwas Neues…

DT: Für Mountainbiker gibt es derzeit eigentlich fast nichts in diesem Gebiet. Wir haben den Arzler Alm Trail, der als einziges richtiges Angebot in Innsbruck schnell und gut erreichbar ist. Dadurch ist dieser natürlich sehr stark frequentiert. Außerdem bedient er nur einen bestimmten Stil und soll über die Zeit immer weiter vereinfacht werden, wodurch er für viele Biker immer mehr an Attraktivität verliert, die sich dann weniger legale Alternativen suchen. Zusätzlich gibt es noch den Bikepark Innsbruck in Mutters. Hier beispielsweise fehlt aber der Trail zurück in die Stadt, um das Angebot abzurunden.

KS: Wenn wir vergleichen: 2016 gab es in und um Innsbruck vier Trails. Fünf Jahre später gibt es nicht nur ein Angebot mit doppelt so vielen Trails, sondern die damals bereits bestehenden Trails wurden zudem auch ausgebaut und verbessert. Auch die seither geschaffene Infrastruktur wird regelmäßig ausgebaut und erneuert. Im Bikepark Innsbruck haben wir mit fünf Trails von blau bis schwarz sowie einem Kids- und Beginners Park ein solides Angebot für alle Könnerstufen geschaffen

Wie funktioniert das Zusammenleben zwischen Wanderern und Mountainbikern?

LL: Im Großraum Innsbruck sind sowohl die Frequenzen von Wanderern als auch Bikern auf den Wegen sehr hoch. Trotzdem funktioniert die Co-Existenz unterm Strich nicht schlecht.

CP: Die meisten Wanderer und Biker begegnen sich mit Voraussicht und Freundlichkeit. Für schlechte Stimmung sorgen aber immer wieder einige schwarze Schafe unter den Bikern und auch unter den Wanderern.

TÖ: Das hängt stark vom Mountainbiker selbst ab. Der Wanderer hat auf Wanderwegen immer Vorrang, wer das respektiert ist schon mal besser dran. Das bedeutet aber auch, dass man sich als Mountainbiker eben zweimal überlegen muss, wann man welche Trails fährt. Wenn ich weiß, dass zu gewissen Uhrzeiten Wanderwege stark frequentiert sind, dann muss ich mich zeitlich oder örtlich anpassen.

JA: Wir haben im Naturraum genügend Platz, es braucht jedoch klare Regeln und Rahmenbedingungen für ein gutes Miteinander. Aufklärung und Bewusstseinsbildung sind der Schlüssel. Hier wollen wir in den nächsten Monaten einen besonderen Schwerpunkt setzen.

KS: Wir wissen, dass ein gutes legales Angebot an Mountainbike-Trails hilft, die Biker zu lenken, und dazu beiträgt, dass nicht auf den Wanderwegen gefahren wird. Die Schaffung einer entsprechenden Bike-Infrastruktur ermöglicht eine Entzerrung und die Vermeidung von Nutzungskonflikten zwischen Wanderern und Bikern. Außerdem setzen wir auf Aufklärung – und das in allen Bike-Sparten. Wir informieren Gäste, was bei uns in Österreich erlaubt ist und was nicht, da es doch Unterschiede zwischen den lokalen Gesetzen und denen in den Herkunftsländern unserer Gäste gibt.

Ist das Angebot für Mountainbiker ausreichend?

LL: Das Angebot ist aus meiner Sicht nicht ausreichend. Vor allem im Bereich der Trails braucht es mehr Angebot. Zurzeit wird im Großraum Innsbruck kreuz und quer gefahren, was natürlich zu Konflikten führt, vor allem mit den Eigentümern, der Jagd und Forstwirtschaft. Es ist daher dringend notwendig, Angebote in Abstimmung mit den Waldeigentümern zu schaffen, damit Biker besser gelenkt werden.

DT: Hier muss ich mit einem klaren Nein antworten. Mit 1 1/2 Trails in der Stadt und dem Bikepark Innsbruck in Mutters wird das Angebot der Masse in der Stadt nicht gerecht. In etwas größerer Entfernung liegen noch der Bikepark in der Leutasch und der Bikepark in Steinach am Brenner. Es wäre notwendig hier mal ein Gesamtkonzept und einen Masterplan zu entwickeln für die umliegenden Berge, um das Trail Angebot zu erweitern. Leider werden die Planung und der Bau neuer Trails oftmals erschwert.

Das Innsbrucker Szeneurgestein Christoph Mallin schaffte es kürzlich mit einem vielbeachteten, kritischen Facebook-Post über die „neue Generation“ der Downhiller sogar bis in den Standard. Hauptthema war der mangelnde Respekt einiger Fahrer vor der Natur, u.a. die Angewohnheit, in den Kurven möglichst viel Dreck spritzen zu lassen. Wie soll diesen Auswüchsen begegnet werden?

DT: Ja ich habe diesen FB-Post auch gesehen und er spricht ein Thema an, das sehr wichtig ist. Ich verstehe die Fahrer, die ihren Spaß haben wollen, absolut. Das Problem ist nur, dass sie auf Wanderwege ausweichen, wo diese Fahrweise problematisch und unangebracht ist. Auf gebauten und gewarteten Trails, die für Mountainbiker angelegt sind, ist nachhaltiges Fahren nicht so ein großes Thema. Das bringt uns wieder zum mangelnden Angebot zurück.

LL:Grundsätzlich braucht es natürlich diesbezüglich mehr Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung in der Szene. Diese Arbeit gehen wir unter anderem über das Programm „Bergwelt Tirol Miteinander Erleben“ sehr aktiv an. Es braucht aber noch mehr Initiativen und Player, die sich diesbezüglich engagieren. Erste Initiativen gibt es bereits aus Bikemedien und Bikeindustrie wie z.B. „Love Trails Respect Rules“. Im Großraum Innsbruck, wie auch in anderen Ballungsgebieten, hat das Problem eine andere Dimension. Hier entstehen sehr viel neue Trails und Varianten, die teilweise durch Biker selbst errichtet werden. Es muss klar sein, dass im Wald keine völlige Narrenfreiheit herrscht. Man darf im Wald nicht nach Belieben Strecken selber anlegen. Da überschreitet man ganz klar eine Grenze. Jedoch muss man auch erkennen: Der Mountainbikesport ist Volkssport in Innsbruck- viele starten ihre Biketour nach der Arbeit von der Haustüre weg in die stadtnahen Wälder und da gibt es einfach zu wenig offizielle Trail Angebote.

JA: Unsere Aufklärungskampagne wird sich an alle Naturraumnutzer richten und den sorgsamen und schonenden Umgang mit der Natur thematisieren. Der Bogen reicht dabei von der Achtung der Tier- und Pflanzenwelt bis zum sorgsamen Umgang mit der bereitgestellten Infrastruktur. Die Kosten trägt nämlich die Allgemeinheit.

CP: Wir schauen in unseren Fahrtechnikkursen darauf, den Teilnehmern eine trailschonende Fahrweise schmackhaft zu machen. Eine flüssige Fahrweise ohne blockiertes Hinterrad ist oft sogar schneller als das Reinshredden mit zugezogener Hinterradbremse. Das Abschneiden und Abkürzen von Kurven und anderen Trailabschnitten geht meiner Meinung nach gar nicht und wird im modernen Trailbau durch den Einbau von nicht überfahrbaren Elementen wie großen Baumstämmen, Zäunen o.Ä. verhindert.

Was ist für die Bergradler Neues geplant?

CP: Die Parkstrecken werden gerade wieder auf Vordermann gebracht, zudem ist die Reaktivierung des berühmt-berüchtigten Nordkette Singletrails angedacht. Weiters gibt es vage Anzeichen für Fortschritte in den Bemühungen der Stadt, weitere Singletrails in Innsbruck zu errichten.

JA: Wir sind derzeit in intensiver Planung und Vorbereitung neuer Up- und Downhillstrecken. Zusätzlich habe ich die IKB beauftragt, alle städtischen Almen mit E-Ladestationen auszustatten. Auch ein neuer Trinkwasserbrunnen im Bereich Rosnerweg wird errichtet. Wir haben heuer also viel vor. Die Bike-Szene darf sich freuen!

 

Warum wird der Patscherkofel nicht mit dem Thema „Bike“ bespielt? Es gäbe, vom Gipfel bis zur Olympiaworld, theoretisch einen Super-Downhill mit rund 1.650 Höhenmetern und in den geräumigen 10er Gondeln wäre genug Platz für den Radtransport?

TÖ: Gute Frage. Wenn man noch den Glungezer mit einbezieht, könnte man hier extrem spannende hochalpine Touren direkt mit der Innenstadt verbinden. Das wäre touristisch schon wirklich äußerst spannend und einzigartig. Woran es scheitert müssen zum Glück andere eruieren …

LL: Die Entwicklung von Mountainbike Angeboten muss immer im Einvernehmen mit den Grundeigentümern erfolgen. Dies ist durch das österreichische Forstgesetz (bzw. das Tiroler MTB Modell) so vorgegeben. Die Stadt Innsbruck ist nicht Eigentümer von Grund und Boden am Patscherkofel und kann daher auch nicht über neue Bike Angebote am Patscherkofel alleine entscheiden.

KS: Um eine neue Infrastruktur zu schaffen, müssen viele Aspekte und Akteure berücksichtigt werden. Der Patscherkofel liegt in der Vitalregion und spricht aus diesem Grund schon eine andere Zielgruppe an als der Bikepark Innsbruck. Der Gast in der Vitalregion ist viel ruhiger und moderater in der Natur unterwegs. Hier bewegen sich auf den Forststraßen Wanderer, Genuss-E-Biker und Uphill-orientierte Mountainbiker, während im Bikepark Innsbruck die Downhill-Biker „zuhause“ sind.

Wie sieht die Situation abseits von Crankworx im Wettkampfbereich aus? Welche Rennen gibt es aktuell (noch) im Großraum Innsbruck?

KS: Das Crankworx-Festival war der treibende Motor, um das Thema Mountainbiking in der Region Innsbruck zu entwickeln. Aufgrund der Corona-Situation mussten dieses Jahr einige Veranstaltungen vom Frühjahr in den Herbst verschoben werden. Umso mehr freut es uns, dass es den Veranstaltern gelingen wird, den Auftakt der Crankworx World Tour vom 16. bis 20. Juni 2021 im Bikepark Innsbruck auszutragen. Am 18. September findet heuer bereits zum dritten Mal die Intersport Austrian Pumptrack Series statt, und gleich eine Woche später, vom 25. bis 26. September, dürfen wir zum ersten Mal die Enduro1 Serie in der Region Innsbruck begrüßen. Das Gravel-Biken, das heißt mit dem Rennrad und geländegängiger Bereifung unterwegs zu sein, erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Dementsprechend freut es uns, dass mit dem Gravel Innsbruck vom 11. bis 12. September auch aus diesem Bereich eine Veranstaltung stattfindet und sich bereits mit der dritten Austragung im Eventkalender etabliert hat.

JA: Mit Crankworx haben wir das Nummer 1 Event der internationalen Bikeszene in Innsbruck. Darum beneiden uns viele andere Destinationen. Wir feiern heuer den fünften Geburtstag und freuen uns schon auf die Jubiläumsveranstaltung, die auch wieder frische Impulse für die lokale Szene bringen wird.

Gibt es für den Nachwuchs ein geeignetes Angebot, um mit dem Bikesport vernünftig anzufangen?

DT: Von mir ein klares Nein. Es gibt einen kleinen Bike Spielplatz und den Pumptrack in Mutters. Meiner Meinung nach gehört in jeden Ort ein kleiner Bike Spielplatz, wo Kinder Radfahren lernen können und ein besseres Handling für ihr Bike bekommen. Das bringt auch Vorteile im Straßenverkehr. In den Sommerferien wird es z.B. wieder den „Tiroler Action Kindersommer“ geben mit Ferienbetreuung am Berg für Bike Einsteiger und Fortgeschrittene.

LL: Auch in diesem Bereich gibt es Nachholbedarf im stadtnahen Raum. Es braucht mehr niederschwellige leichte Trail Angebote, die auch für Kinder befahrbar sind. Diese müssen von der Haustüre aus mit dem Bike erreichbar sein. Vorgemacht hat es die Gemeinde Lans mit dem Waldpark. In Inzing entsteht eine ähnliche Anlage. Abgeschlossene kleine Trailcenter inklusive Pumptracks, wo man sich stufenweise die Schwierigkeitsklassen hocharbeiten kann, eigenen sich diesbezüglich sehr gut, den Nachwuchs an den Sport heranzuführen und sind ein tolles Angebot für Bike-begeisterte Familien.

JA: Der neue Stadtwaldtrail in Mühlau richtet sich speziell an die Einsteiger. Zusätzlich planen wir gemeinsam mit einem Kooperationspartner eigene Fahrtechniktrainings und der größte Pumptrack Tirols könnte bald in der Rossau errichtet werden. Ich führe hier sehr intensive Gespräche und bin sehr zuversichtlich, was eine baldige Umsetzung betrifft.

CP: Der MTB & Downhill Verein Tirol bietet tolle Angebote für Kids und Jugend!

Wohin geht der Trend im Outdoorsport im Allgemeinen, was muss künftig beachtet und „angepackt“ werden?

TÖ: Aktuell fehlt es mir ein wenig an Respekt für andere Spielweisen im alpinen Raum. Als Mountainbiker ist man in touristischen Gegenden gerne gesehen, ansonsten fühlt man sich aber eher fehl am Platz. Das ist schade und ich kann mir vorstellen, dass das in anderen Sportarten ähnlich ist. Der Outdoorsport wird immer vielseitiger und es gibt genug Raum, um alle Facetten des Bergsports auszuleben.

CP: Beim Biken boomt das E-Mountainbike enorm. Das wird uns in wenigen Jahren vor eine völlig andere Situation stellen: Zum Gravity-Biken wird es keine Lifte mehr brauchen…

DT: Schon vor Corona war der Trend erkennbar, dass immer mehr Leute wieder stärker die Nähe zur Natur suchen. Das ganze Thema Sport, Natur und Gesundheit hat jetzt aber durch die Pandemie nochmal einen extremen Push bekommen. Dadurch entsteht derzeit in einigen Regionen Spannung zwischen den verschiedenen Nutzergruppen. Es braucht dringend ganzheitliche Nutzungskonzepte, die allen Gruppierungen gerecht werden. Dabei spielt die konstruktive Kommunikation eine zentrale Rolle. Beim Mountainbike Sport im speziellen ist es wichtig, das Angebot sehr zeitnah an die explodierende Nachfrage anzupassen. Dabei muss beachtet werden, dass es nicht nur Anfängern, sondern auch Könnern gerecht werden muss. Nur so kann der steigende Wildwuchs an Trails begrenzt werden.

LL: Eine Prognose wage ich nur sehr vorsichtig und eingeschränkt für den Mountainbikesport abzugeben: Das E-Bike ist hier sicher der Game Changer, dies erkennt man auch an den sehr guten Verkaufszahlen der Bike Industrie in den letzten Jahren, die hauptsächlich auf das E-Bike zurückzuführen sind. Komponenten, die für den ein oder anderen beim Radfahren lästig waren, wie bspw. Höhenmeter, Gegenwind, Anstrengung können per Knopfdruck eliminiert werden. Der Radboom wird daher auch in Zukunft anhalten.

Fotos: Ch. Mallin, D. Tulla, Gosports, J. Haimerl, MTB Agency, B. Schösser