Tamara Lunger - Verliebt in die Berge

Tamara Lunger - Verliebt in die Berge

Tamara Lunger, geboren 1986 in Bozen, ist als Tochter eines bekannten Skibergsteigers in den Bergen aufgewachsen. Das ist wohl der Grund, wieso die Berge eine so große Rolle in ihrem Leben spielen und zu ihrer Leidenschaft geworden sind. 2014 erreicht sie als zweite Frau Italiens in der Geschichte des Alpinismus den K2. Bereits als 14-Jährige hegt sie den Wunsch, einmal einen Achttausender zu erklimmen. 2009 verspürt sie bei ihren ersten alpinistischen Versuchen in Nepal, dass dies nicht nur ein Traum ist. Seitdem ist sich Tamara sicher: "Das ist das Leben, das ich will. Und nichts anderes". FREIZEIT-TIROL traf die fesche Südtirolerin im Rahmen der Alpinmesse in ihrem Hotel in Innsbruck zum sehr privaten Interview.

Tamara, du bist über das Schibergsteigen, bei dem du ja auch im italienischen Nationalteam warst und tolle Erfolge feiern konntest, zum alpinen Bergsteigen und Höhenbergsteigen gekommen. Wie viele 8000er hast du bereits bestiegen?
Ich habe bisher sechs Achttausender in Angriff genommen, konnte aber nur auf dem K2 und Lhotse tatsächlich den Gipfel erreichen. Am Nanga Parbat bin ich 2016 70 Meter unter dem Gipfel gescheitert. Aber ich habe an diesem Tag viel mehr gelernt, als wenn ich auf den Gipfel gekommen wäre. Ich bin rückblickend froh, dass es so war!

Was passierte am Nanga Parbat?
Ich war knapp unter dem 8.125 Meter hohen Gipfel körperlich total fertig. Ich hörte eine innere Stimme, wie ein virtuelles SMS, die mir sagte "Wenn du jetzt da hinauf gehst, wirst du deine Familie nie mehr wieder sehen!". Ich bin normalerweise ein Mensch, der Selbstzweifel hat und hin und her überlegt. Gerade in so einer Situation! Doch diese Stimme war so stark, dass ich trotz der Nähe zum Gipfel die Entscheidung traf, abzusteigen. Meine Begleiter haben nicht mitbekommen, dass ich den Rückweg antrat. Als ich weiter unten über eine Gletscherspalte gesprungen war, bin ich hinter der Spalte umgeknickt und gestürzt. Daraufhin bin ich sofort auf dem glatten Eis im steilen Gelände ins Rutschen gekommen. Ich habe versucht mich mit dem Eispickel zu halten. Die Steigeisen konnte ich nicht nehmen, da ich Angst hatte, dass es mir die Beine abreißt oder dass es mich aushebelt und mich dann durch die Luft wirft. Irgendwie dachte ich in diesem Moment: "So, das war`s jetzt!", da ich wusste, dass diese extrem schnelle "Rutschbahn" 3.000 Höhenmeter lang war.Interessanterweise hatte ich keine Angst vor dem Tod, ich hatte nur Angst, dass es brutal wehtun würde. Durch Glück bin ich dann in einen weichen Schneehaufen gefallen, was meinen Sturz stoppte. Ich hatte einen so hohen Puls wie überhaupt noch nie in meinem Leben und dachte: "Ein Weltwunder!" Jetzt galt es allerdings schnellstmöglich ins Lager 4 zurück zu kommen, da ich ja unterhalb dieses Lagers war.

Ich wollte nicht auf meiner Falllinie zurückgehen, sondern zum Lager queren. Allerdings waren hier jede Menge Gletscherspalten. Da bereits Sonnenuntergang war, musste ich mich beeilen. Wenn es hier am Berg finster ist, siehst du das Zelt nicht mehr und läufst eventuell daran vorbei. Ich wusste das, auch weil die Aufstiegsspuren der Steigeisen im harten Eis nicht mehr zu sehen waren.

So schaffte ich es wirklich in Rekordzeit, das Zelt zu erreichen. Auch meine drei Begleiter, der Südtiroler Simone Moro, der Spanier Alex Txikon und der Pakistaner Ali Sadpara waren vom Gipfel, den sie besteigen konnten, zurückgekommen. Wir alle waren total fertig und am Ende. Trotz des Gipfelsieges herrschte eine eigenartige, beklemmende Stimmung. Ich glaube, es war die härteste Nacht in meinem Leben, da ich solche Schmerzen hatte. Ich dachte mir, trotz meiner Situation, dass ich die drei Bergkameraden jetzt nicht noch zusätzlich belasten wollte. Ich bin am Berg im Verhalten eigentlich eher ein Mann. Wenn ich eine Zeit lang mit den Männern zusammen bin, dann gehen sie mit mir um wie mit einem Mann. In dieser Nacht wollte ich das einzige Mal eine Frau sein und hätte mich nach einer Umarmung gesehnt...!

Am nächsten Tag war dann zum Glück schönes Wetter. Die Kameraden haben mir ein bisschen Gepäck abgenommen und mir geholfen. So sind wir Schritt für Schritt, sehr langsam, abgestiegen. Ich hatte mir ein Band im Sprunggelenk gerissen und war durch den Absturz an der Schulter verletzt. Auch Bauch und Rücken schmerzten sehr. Das war mein bisher härtestes und prägendstes Erlebnis. Eigenartigerweise bin ich froh darüber!

Somit ist für dich Erfolg nicht nur das Erreichen des Gipfels?
Klar, das wäre das "Tüpfelchen auf dem i" gewesen. Man lernt aber mehr aus den Niederlagen. Man darf nachdenken, warum ist das jetzt so gewesen, man analysiert die Situation. Man wächst auch innerlich. Ich suche diese Situationen am Limit ja bewusst, um mich selbst noch besser zu verstehen. Wenn ich weiß, wie ich in solchen Situationen reagiere, ist das für die weitere Zukunft wichtig. Ich habe somit meine eigene Basis mit einem sicheren, mir jetzt bekannten Faktor verbreitert. Das ist auch mit der Kälte so. Ich habe immer Angst, dass ich mir die Zehen abfriere, aber ich muss mich auch dieser Situation stellen.

Das Thema "Tod am Berg?"
Ich habe zum Tod ein gutes Verhältnis dank gewisser Erlebnisse, die ich hatte. Klar, am Anfang war es sehr schwer. Wenn ich heute einen Toten sehe, macht mir das nichts mehr aus. Da ich meine Leidenschaft nicht aufgeben kann, da ich gerne intensiv lebe, ist mir klar, dass es auch mich jederzeit treffen kann. Bei mir muss es im Leben immer Wellen schlagen. Diese sind nicht nur hoch, sie sind auch tief. 2010, bei meiner zweiten Expedition, habe ich am Cho Oyu geholfen, die Leiche eines befreundeten Südtirolers zu bergen. Das hat mich sehr geprägt, fast ein heiliger Moment. Er selbst und seine Frau wollten immer, dass, falls er einmal am Berg sterben sollte, sein Leichnam heimgebracht würde. Am Abend fühlte ich mich dann stolz und dachte, das hast du gut gemacht! Den ganzen nächsten Tag musste ich aber weinen. Die anderen in unserer Gruppe fuhren nach der Bergung wieder nach Hause. Ich konnte das in meinem Zustand nicht, da ich wusste, wenn ich es machen würde, wäre das Thema "Berg" für mich erledigt und ich hätte meine Leidenschaft aufgegeben. Also schloss ich mich einer anderen Expedition an, ohne mein Satellitentelefon, das ich zuvor den Rettern mitgegeben hatte. Für mich waren die folgenden zwei Wochen psychisch extrem anstrengend, da ich mit niemandem über das Gesehene und Erlebte sprechen konnte. Ich nahm in dieser Zeit acht Kilo zu! Da ich damals erst 24 Jahre alt war, brauchte ich fast ein halbes Jahr, bis ich das alles verkraften konnte. Seit damals habe ich jedoch ein ganz anderes Verhältnis zum Tod: Der Tod ist ja ein Teil von uns. Wenn wir nicht gewillt sind zu sterben, brauchen wir nicht anfangen zu leben!

Bist du religiös, glaubst du an Gott?
Ja, klar. Ich versuche immer mit klarem Kopf und klaren Entscheidungen mein Bestes zu geben. Der Rest ist nicht in meiner Hand. Wenn der Tag X kommt, werde ich sterben müssen. Und da ich denke, dass dieser Tag schon seit Anfang an geschrieben ist, mache ich mir keine großen Sorgen. Das gibt mir die Freiheit, ohne Angst auf den Berg zu gehen. 2014, bei der K2 Expedition, hatte ich Angst, wieder Tote zu sehen. Was würde das in mir auslösen? Also hatte ich das plötzliche Bedürfnis, dort am Gletscher Tote zu suchen und zu finden. Und dort findest du ja wirklich alles: Rippen, Füße in Schuhen, Gliedmaßen...Wir fanden dann tatsächlich zwei Tote. Das ließ mich dann erstaunlicherweise total kalt. Ich sah sie an und dachte mir: "Ja, das ist deine Geschichte, ich aber habe eine andere!". Und damit konnte ich mich eigentlich total von der Angst zu sterben befreien.

Was sind deine nächsten Ziele?
Nun, momentan ist mein größtes Ziel schmerzfrei zu werden. Ich habe seit 17 Jahren immer Knieschmerzen, auch das Kreuz tut fallweise höllisch weh. Heuer hat mich ein Freund aus Mailand dazu bewogen, mich medizinisch durchchecken zu lassen. Eine schwierige Entscheidung, da ich nie zum Doktor gehen wollte. Davor muss ich schon fast beim Sterben sein. Auch von der Schulmedizin halte ich nicht so viel, ich bevorzuge die Alternativmedizin. Nun, der Check fiel ziemlich schlecht aus: Ein Bandscheibenvorfall, sehr lädierte Knie und einige andere Sachen mehr. Das entstand dadurch, weil ich die letzten Jahre immer mit Schmerzen unterwegs war und mir dachte, es würde schon gehen.Letzten Winter in Sibirien hatte ich das Gefühl querschnittsgelähmt zu sein, so hat mich mein Kreuz blockiert. Als ich einmal hingefallen bin, kam ich fast nicht mehr hoch. Das sollte dir nicht passieren, wenn das Gelände steil oder es auf einer Tour gefährlich ist. Da ich der Meinung bin, dass für kommende Expeditionen alle Teilnehmer topfit sein müssen, stand ich vor der Wahl: Entweder so weiter zu machen wie bisher, mit der Konsequenz, dass es irgendwann nicht mehr weiter gehen würde. Oder die nächste große Expedition zu starten, diese heißt "Gesundheit".

Das mache ich jetzt, es hat mir die Freiheit geschenkt, das zu tun, was die letzten Jahre nicht möglich war, weil ich den Mut dazu nicht hatte. Für mich war diese Entscheidung wesentlich härter als nur zu sagen "ich gehe auf Expedition". Allerdings habe ich den schulmedizinischen Weg verwendet, um den Stand der Dinge zu erheben. Jetzt bin ich wieder mit Alternativmedizin unterwegs und habe auch meinen Ernährungsplan total umgestellt: zuckerfrei, laktosefrei und glutenfrei. Das war anfangs fast wie "auf Entzug", ich hatte Kopfweh, weil ich keinen Kaffee mehr trinken durfte. Aber jetzt geht es gut!

 

Redakteur: Bernhard Schösser
Fotos: Tamara Lunger, Simone Moro, Ale D'Emilia, Bernhard Schösser