Der neue Tiroler Tourismus?

Mario Gerber ist ein vielbeschäftigter Mann: Hotelier im Kühtai mit rund 250 Mitarbeitern, Landtagsabgeordneter, Vorstand im Tourismusverband Innsbruck und als Obmann der Hotellerie in der Wirtschaftskammer Tirol „oberster Hotelier“ und Sprecher der Branche. Grund genug für FREIZEIT-TIROL, Informationen zur aktuellen Lage der Tiroler Hotellerie und Freizeitwirtschaft einzuholen und auch mit dem Vorurteil „Tourismus ist nur für die Touristen da“ aufzuräumen.

Mario Gerber sieht die aktuelle Lage rund um Covid-19 nicht als „kleine Delle“, sondern eher als ganz dunkle Wolken: „Man muss sich vor Augen führen, dass jeder dritte Euro in Tirol im Tourismus verdient wird!“ Seine Branche mit allen angeschlossenen Unternehmen und Dienstleistern sei quasi der Anlasser für den Motor der Tiroler Gesamtwirtschaft, eine Situation und Konstellation, die selbst im touristisch starken Österreich einzigartig ist. So sieht er seine Mitentscheidung mit Landeshauptmann Platter, den Shutdown im Tiroler Tourismus auszurufen, als die bisher schwierigste Stunde seines Lebens, war es doch gleichzeitig auch ein Zusperren seiner Betriebe im Kühtai. „Trotzdem, es war die richtige Entscheidung und ich bin stolz darauf, dass unsere Branche erkannt hat, dass die Gesundheit der Einheimischen, Mitarbeiter und Gäste an erster Stelle steht!“, führt er rückblickend aus. „Erfreulich war das viele, positive Feedback der Kollegen, das uns gezeigt hat, dass wir die richtige Lösung gewählt hatten!“. Für Gerber, als Hotelier in einer reinen Winterdestination tätig, brachen mit dem Shutdown eineinhalb Monate der Saison weg, während den Ganzjahreshotels ja gleichzeitig auch rund 25% der Sommersaison fehlen. Die Zeit innerhalb des Shutdowns war für den Branchenobmann sehr herausfordernd: „Ich habe täglich von acht Uhr in der Früh bis spät abends telefoniert, immer auf der Suche nach Hilfe und Neuigkeiten für die Branche, da sind die Tage nur so vorbeigeflogen!“, erinnert er sich. Generell findet Gerber, dass die Wirtschaftskammer in dieser Zeit ein enorm wichtiger Faktor bei der Unterstützung der Betriebe gewesen sei. Leute, die direkt am Puls der Zeit und in der Branche tätig sind, seien als Servicefaktor unverzichtbar: „Hätte es die Kammer nicht schon gegeben, so hätte man sie in dieser Zeit erfinden müssen!“ Für den Zeitraum vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 wurde vom Nationalrat in den Bereichen Gastronomie, Beherbergung, Kultur sowie Publikationen eine Herabsetzung der Mehrwertsteuer auf fünf Prozent beschlossen, zusammen mit den kontrollierten Grenzöffnungen eine der wichtigsten Leistungen, findet Tirols oberster Hotelier.

Wie stellt sich nun die aktuelle Lage im August dar?

Der Start nach dem Hochfahren sei sehr holprig gewesen, der Juni mit dem des Vorjahres nicht vergleichbar, da viele Betriebe ja erst mit 15. Juni oder später aufgesperrt hätten. Für Juli und August seien die Zahlen durchaus gut, wenn auch – logischerweise – weit weg von den Ergebnissen des Vorjahres. Regional gebe es Unterschiede in Tirol: Im Unterland sei die Buchungslage gut, Aufholbedarf habe aktuell das Oberland. Hart getroffen sei aber die Stadthotellerie: Durch die immer noch großteils geschlossene Veranstaltungsbranche mit Kongressen, Messen und sonstigen Großevents sei die Stadthotellerie neben der Eventbranche ein Bereich, der komplett am Boden liege. Ein Ansporn für Mario Gerber, hier politisch und vor allem finanziell zu helfen. Insgesamt würden sich diese Nächtigungsrückgänge auch in den Budgets der Tourismusverbände negativ niederschlagen. Somit seien Leistungen wie z.B. die Errichtung von Bikeparks oder sonstige Angebote, die auch von der Tiroler Bevölkerung genützt werden, schwieriger zu erbringen. Die eingangs erwähnten „ganz dunklen Wolken“ würden sich momentan ein wenig lichten, ein dünner Sonnenstrahl des Optimismus sei in der Tiroler Tourismus- und Freizeitwirtschaft erkennbar: „Allerdings, wie bei einer Fußbodenheizung, ist dieser Optimismus sehr träge!“

Darf nun ein Ausblick auf die nähere Zukunft gewagt werden?

Wie schon erwähnt sei die Branche optimistisch. Ein möglichst schnelles Hochfahren sei schon alleine wegen der induzierten Wertschöpfung der mit dem Tourismus verbundenen Betriebe und Dienstleistungen wichtig: „Es ist nicht nur der große Tischler, der die Zimmer renoviert und ausstattet oder die Brauereikette mit den Bierlieferverträgen. Mit an unserer Branche hängen der DJ, der kleine Bäcker, die Werbe- oder Eventagentur, der Wanderführer, der Bedrucker der Mitarbeiter T-Shirts und viele kleine und kleinste Betriebe!“, so Gerber. (Anmerkung: Die induzierte Wertschöpfung ist jene Wertschöpfung, die von den Lieferanten der touristischen Dienstleister erzielt wird. Diese indirekte Wertschöpfung erstreckt sich aber auch auf die Lieferanten, die ihrerseits die unmittelbaren Vorlieferungs- und Vorleistungsbetriebe beliefern usw.). Aktuell könne man mit dem hohen Niveau des Tiroler Qualitätstourismus einen wichtigen Trumpf ausspielen: Der „Kraftplatz“ Tirol mit seinen kulinarischen Facetten sei äußerst positiv und strahle hell im Vergleich zu internationalen aber auch nationalen Tourismusangeboten, so Gerber stolz. Auch der Tiroler nehme dieses touristische und gastronomische Angebot an, egal ob Freizeitpark, Bergbahn oder Großkonzerte am Berg. „Wenn das alles geschlossen ist oder nicht stattfinden kann, wird uns bewusst, was der Tourismus hierzulande leistet“.

Eine gute Sache seien die vom Bund unterstützten Mitarbeiter-Covid19-Testungen, die möglichst lückenlos durchgeführt werden sollten. Das einerseits, um die Sicherheit plakativ darstellen zu können, andererseits, um Cluster ausfindig zu machen und eingrenzen zu können. Das große „Aber“ sieht Mario Gerber in der sogenannten „K1-Regel“: Diese besagt, dass eine Person, die 20 Minuten auf 2 Meter Abstand mit einer Corona-infizierten Person zu tun hatte, getestet werden muss. So weit verständlich und gut, nur: Selbst bei einem negativen Testergebnis gelte quer durch alle Branchen dann eine 14-tägige Quarantänepflicht. Das sei, bei allem prioritären Verständnis für die Sicherheit und Gesundheit aller Beteiligten, zu ändern. Beispielsweise, dass nach einem zweiten negativen Test unter den vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen normal weitergearbeitet werden dürfe. Denn es gehe neben der Gesundheit auch um die Wirtschaftlichkeit der Betriebe, so Mario Gerber.

Was erwartet sich der Tiroler Branchensprecher nun vom kommenden Winter?

Das Buchungsverhalten der Gäste sei aktuell zögerlich. Allerdings wäre der Trend schon in den letzten Jahren erkennbar gewesen, dass der Gast immer kurzfristiger gebucht hätte. Die aktuelle Mischung aus schönem Sommerwetter, Corona und Kurzfristigkeit sei eben nicht dazu geeignet, den Gast momentan auf das Thema „Winterurlaub“ zu bringen. Trotzdem sieht Mario Gerber den kommenden Winter positiv, wenn auch mit einer Brise Demut und der Erkenntnis, dass die Nächtigungen und Ergebnisse der Vorjahre in keinster Weise erreicht werden können. Sollte der kommende Winter nicht funktionieren, kommen die „schwarzen Wolken“ sehr schnell wieder zurück nach Tirol, und das werde sich auf alle Branchen auswirken.

Bei der Finanzkrise 2008 sei der Tourismus als „Fels in der Brandung“ gestanden und habe den anderen Branchen geholfen, diese damalige Krise zu durchtauchen. Aktuell sei der Tourismus von Covid-19 getroffen wie keine andere Branche. Das schlage sich neben den schon erwähnten finanziellen Verlusten bei Zulieferern auch im Freizeitangebot für den Einheimischen nieder: Viele Kernleistungen wie Events sind immer noch nicht nutzbar, viele Angebote wie z.B. das Innsbrucker Bergsilvester werden wohl neugestaltet werden müssen.

Après-Ski und Ischgl?

Mario Gerber sieht in dieser Causa keinen nachhaltigen Schaden für Tirol. Man habe das Virus „nicht im Reagenzglas gezüchtet“, sondern selbst bekommen. Wichtig sei es, beim Tourismus zu erkennen, dass nicht die Politik oder Journalisten diesen machen, sondern der Gast selbst. Der Gast entscheide nach seinem Grundbedürfnis von Urlaub. Darauf könne Tirol stolz sein, dass es ein absolut breitgefächertes Angebot gebe: Sanften Tourismus mit Wellness und Familienangeboten auf der einen Seite, intensiven Tourismus in den Partyhochburgen auf der anderen Seite. Ischgl habe hier ein weltweit fast einzigartiges Niveau, befindet Tirols oberster Hotelier: Ein internationales Top-Skigebiet, das Haubenlokale ebenso beherberge wie Luxushotels, Clubs, Discos und Après-Ski Lokale. Der Gast, der nach Ischgl komme, wolle Ischgl, so Gerber. Daher werde es im kommenden Winter bei diesem mittlerweile heiklen Thema intelligente Beschränkungen benötigen, solange das Virus nicht eingedämmt ist. Das könne sowohl durch Personenbegrenzung wie auch über die Uhrzeit erreicht werden. Es benötige aber die Selbstverantwortung aller Menschen. Après-Ski Bars zuzusperren sei das eine, wenn sich der Gast oder ein Mitarbeiter aber außerhalb des Tourismus nicht an die Regeln halte, komme das Virus eben von einer anderen Seite herein. An diesem Thema werde aktuell gerade politisch und auch in der Wirtschaftskammer gearbeitet, so Mario Gerber abschließend.

 

Foto/Text: Bernhard Schösser