Kultur am Land - Halbvoll ist das neue Ausverkauft!

Während Stadien-Bands wie Rammstein, Metallica oder Ed Sheeran innerhalb weniger Stunden die größten Arenen ausverkaufen, tun sich kleinere Bands und Veranstalter nicht erst seit Corona wesentlich schwerer. Dabei gibt es ein ständig steigendes Veranstaltungsangebot, was sich in einer Vielzahl oft kleiner und kleinster Events manifestiert. Wie hat sich die Kunst- und Kulturszene speziell im ländlichen Raum seit Corona verändert? FREIZEIT-TIROL lud fünf Tiroler Kulturveranstalterinnen zum gemeinsamen Kultur-Kaffee: Martina Mayer (VZ Jenbach), Sabrina Schweiger (Arena 365, Kirchberg), Maria Thurnwalder (Die drei Kulturorte am Mieminger Plateau), Sabine Gaspari (B4 Zirl) und Tanja Thurner (Zone 82, Landeck). Zugeschaltet war Luggi Ascher (Komma Wörgl).

Die Ausgangslage
Alle Gesprächsteilnehmer organisieren verschiedenste Veranstaltungen in Hallen und Locations in der Größenordnung 100 bis 600 Personen mit Bestuhlung und maximal 1.000 Besucher mit Stehplätzen. Die Bandbreite der Veranstaltungen geht dabei von Firmenevents über externe Veranstaltungsagenturen bis hin zu lokalen Vereinen. Speziell im B4 in Zirl sind die Wochenenden schon oft lange voraus vergeben, da die Gemeinde Termine für die Vereine im Dorf blockiert. Generell stellt sich heraus, dass diese direkte Anbindung der Veranstaltungslocations an den Arbeitskräfte - Pool der jeweiligen Gemeinde oft wegen der starren Arbeitszeiten der Gemeindearbeiter ein Problem für die für Events notwendige Flexibilität und Logistik darstellt. Eine positive Ausnahme ist das VZ Jenbach, ein eigener Mitarbeiter der Gemeinde ist quasi rund um die Uhr bei Veranstaltungen verfügbar. So sehen sich die Damen, speziell an Wochenenden, sehr oft zu einer „One-Women“ Show genötigt, bei der es gilt, in allen Bereichen selbst Hand an zu legen. Deshalb verwehren sie sich auch gegen den Begriff „Kulturlady“, da damit eher repräsentatives Auftreten impliziert wird. Während die tatsächlichen Tätigkeiten vom Stühle aufstellen und Abendkasse über Mitarbeit hinter der Bar bis hin, wie im Fall von Martina Mayer, zum Bekochen der Künstler gehen. Da ja viele Künstler schon Vegetarier sind, ist bei Martina Mayer die Bandbreite der Gerichte je nach Wünschen sehr umfangreich. Selbst gebackenes Brot oder das persönliche Abholen vom Bahnhof in Innsbruck ergänzen die Tätigkeiten.

Wie sieht nun die aktuelle Situation nach Corona aus?
Luggi Ascher meint dazu: „Die Menge der Veranstaltungen ist auf einem ca. 80% Level von 2019. Die Besucherzahlen bei allen Veranstaltungen schwanken sehr und sind nicht kalkulierbar!“ Er ist überzeugt davon, dass Kultur noch mindestens zwei Jahre brauchen wird, um eine „Normalität“ zu erfahren. Bis dahin werden logischerweise Änderungen in der Programmgestaltung stattfinden. Sabrina Schweiger trifft den Nagel auf den Kopf: „Halb voll ist das neue Ausverkauft!“ Jedoch herrscht Konsens darüber, dass man nicht zu jammern brauche. Wobei es weniger denn je zuvor eine Konstante im Geschäft gibt. Auffallend ist, dass der Kartenvorverkauf generell geringer in Anspruch genommen wird als vor der Pandemie, die Ticketverkäufe an der Abendkassa aber meist besser als früher sind. Das erschwert eine logistische Planbarkeit, beispielweise bei Gastronomie oder Bestuhlung. Im Format „Freitag Nacht“, das in Landeck Kunst & Köstlichkeiten vereint, ist es üblich, dass Publikum und Künstler gemeinsam während des in Aperitif, Vorspeise, Hauptspeise und Dessert aufgeteilten Auftritts essen. Gerade hier stellt dieses spontane Kaufverhalten wegen des hohen Gastronomieanteils immer wieder eine Herausforderung dar. Auch ist klar, dass Kultur am Land ein vermehrtes Angebot erfahre, das vor 10 Jahren noch nicht vorhanden war. Neue Locations sperren auf und bieten Veranstaltungen an, während früher das Dorfgasthaus den einzigen Treffpunkt darstellte. Einigkeit herrscht darüber, dass lokale, regionale Künstler besser angenommen und somit gebucht werden als andere „No Names“. Das auch vor dem Hintergrund gestiegener Reisekosten und erschwerter Tourlogistik. Ein weiterer Trend sei der Wunsch der Besucher nach Comedy und Kabarett: „Die Leute wollen einfach lachen“, so Sabine Gaspari. Nach wie vor ein Klassiker und Publikumsmagnet sei „Luis aus Südtirol“. Ebenso bekannte Namen wie Thomas Stipsitz oder Gery Seidl.

Die Auslastung
Generell bilanziert man, abgesehen von Ausreißern nach oben, momentan mit rund 50% Auslastung. Während nun die oben erwähnten Hochkaräter nicht nur Tickets verkaufen, sondern auch im Budget des Veranstalters, bedingt durch ordentliche Gagen, tiefe Furchen ziehen, stellt sich die Frage nach dem künstlerischen Nachwuchs. Sabrina Schweiger sieht das problematisch: „Wenn du nicht ständig große Namen buchst, bleibt das Publikum trotz moderater und günstiger Ticketpreise bei neuen und unbekannteren Künstlern aus!“ Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht! Auch habe sich das Verhalten der Besucher durch das Streaming seit Corona verändert, nach dem Motto „Das kann ich mir ja zuhause ansehen!“ Problematisch sieht sie auch das Kabarett Angebot im ORF: „Natürlich ist es toll, wenn in 50 Minuten die Quintessenz des Programms zu sehen ist. Wenn du als Veranstalter aber durch eine coronabedingte Terminverschiebung diesen Künstler 14 Tage später bei dir im Haus hast, bleiben dir die Kurzentschlossenen für die Abendkassa komplett aus!“

Maria Thurnwalder ergänzt: „Live heißt ja nicht nur, dass die Künstler auf der Bühne sind. Man schafft ja auch Begegnungen unter den Besuchern, die sich kennen lernen und das nächste Mal eventuell gemeinsam kommen. Das alles ist Kultur.“ Auch sei der Besuch einer Lesung oder einer Ausstellung ein Zeichen der Wertschöpfung gegenüber dem Künstler. Dieser investiere ja wahnsinnig viel Zeit und Arbeit, um ein Produkt fertigzustellen. Facebook und generell die sozialen Medien seien kein Gradmesser mehr für zu erwartende Besucher: So ist die Zahl der für eine Veranstaltung abgegebenen „Gefällt Mir“ oft wesentlich höher als die der verkauften Tickets. Nach wie vor sei ein Medienmix aus Online- und Zeitungswerbung sowie Plakatierung wichtig, besonders effizient natürlich eine positive Mundpropaganda. Doch sei die Reisebereitschaft zu Veranstaltungen nach wie vor gegeben. Die Frage ist, wie motiviert man die Leute, auch dorthin zu kommen?

Kultur als Bildungsauftrag
Während sich der Markt der rein kommerziell orientierten Großveranstalter ja seit einiger Zeit durch Firmenübernahmen radikal spezialisiert hat und Megagewinne lukriert, wird Kultur hierzulande immer noch als Bildungsauftrag gesehen. Martina Mayer berichtet von einer Studie in Deutschland, der zufolge junge Leute, die bis zum 14. Lebensjahr nicht ins Theater gehen, das später auch nie machen würden. Daher arbeite man jetzt in Jenbach mit den Schulen zusammen, um vormittags Vorstellungen anzubieten. Selbiges passiert in Kirchberg, wo eigene Veranstaltungen für Kindergartenkinder organisiert werden. Musicals für Volksschule und Neue Mittelschule oder Theater ab 6 Jahren ergänzen das Kulturprogramm. Auch im Komma in Wörgl sieht man sich als lokaler Nahversorger in Sachen Kultur. Man nehme daher auch Geld für Kinderkultur sowie zeitgenössische Bildungsaufträge in die Hand. Geld, das mit anderen, kommerzielleren Veranstaltungen verdient wird. Maria Thurnwalder empfindet es als Bildungsaufgabe der Gemeinde, sich darum zu kümmern, dass dieses Angebot nicht nur für Kinder und Jugendliche preislich leistbar bleibt: „Kultur am Land muss niederschwellig, leicht erreichbar, offen, vielfältig, mutig und nicht zuletzt auch grenzenlos sein!“

Die Preisgestaltung
In Zeiten der allgemeinen Teuerung in allen Lebensbereichen machen sich die Veranstalter natürlich Gedanken, wie das Kulturangebot leistbar und somit erlebbar bleiben kann. So gibt es in Mieming das „Kulturfünferl“ mit 5 Euro Ermäßigung auf Vorverkauf oder Abendkassa-Tarif. Oder den „Kulturtüröffner“, mit dem bei bestimmten Veranstaltungen alle Besucher unter 26 Jahren nur 9 Euro bezahlen. In Jenbach bietet man einen Stempelpass mit „5+1 gratis“ bei den Eintritten an. Das bei ohnehin überall moderaten Eintrittspreisen. Im Komma in Wörgl gibt es Mitgliederermäßigungen sowie eigene Veranstaltungsserien ohne Eintritt, wie das „Guggi Festival mit Sozialwährung“, die „Chapeau Konzerte“ oder das „Xtragig Reloaded“. Sabine Gaspari ortet fehlende Wertschätzung für Kunst und Kultur: „Während zu Silvester das Geld ohne Nachzudenken mit Raketen und Böllern sinnlos verpulvert wird, bekommt der Musiker an der Bar ein Gulasch und ein Bier. Mehr ist nicht drinnen. Während für die etablierten Künstler Ticketpreise in fast jeder Höhe bezahlt werden, gilt das bei z.B. einer kleinen, feinen Lesung nicht. Ich habe es unlängst mit freiwilligen Spenden versucht: Bei rund 120 Besuchern waren 55 Euro im Spendenkorb!“ Dem gegenüber bringen in Zirl, 12 Kilometer neben der Landeshauptstadt, Beach-Parties oder Krampusveranstaltungen durch massiven Alkoholkonsum die Kassen immer noch zum Klingen.

Das Alter der Besucher
Ab einem Alter von ca.35 Jahren aufwärts besuchen die Tiroler und Tirolerinnen nach wie vor gerne Veranstaltungen. Unter 35 Jahren muss ein Bezug zum Künstler oder dem Angebot vorhanden sein, das sei natürlich abhängig vom Genre. Für Luggi Ascher fehlt die „Generation Corona“, die drei Jahre entwöhnt wurde. Diese gelte es, ebenso wie ältere Besucherschichten wieder für das Programm zu begeistern. Tanja Thurner ortet seit Corona überhaupt permanenten Stress in der Bevölkerung und hört sehr oft: „Du hast ein tolles Angebot, aber ich habe keine Zeit!“ Offensichtlich erschwert die neue „Life-Life Balance“ nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern auch die Arbeit der Tiroler Kulturveranstalter. Trotzdem oder gerade deswegen bleibt die Arbeit der Damen und Herren vielfältig und spannend!