Schneeschmelzgaudi + Stille Helden

Die Schneeschmelzgaudi – mehr als ein Fest mit karitativem Hintergrund!

Christina Obwexer aus Matrei in Osttirol ist seit einem Autounfall, bei dem sie Beifahrerin war, vom Bauchnabel weg querschnittsgelähmt. Das war 2004. Chrissi, wie die hübsche Blondine von ihren zahlreichen Freunden genannt wird, sitzt seither im Rollstuhl. Gleichzeitig ist sie Gründungsmitglied und einzige Dame der „Schneeschmelzgaudi“, einem Team aus 10 Personen, das sich vor vier Jahren das Ziel gesetzt hat, Menschen allgemein zu helfen und die Integration und die Inklusion Behinderter voran zu treiben. Bei der Schneeschmelzgaudi arbeiten zwei Querschnittsgelähmte und acht Menschen ohne Behinderung zusammen. Wichtig ist es, einlangende Anträge zwar genau zu prüfen, aber trotzdem schnell und unbürokratisch zu helfen. Es gibt im Verein keine Richtlinie, wem geholfen wird, wenn der Bedarf da ist, reicht die Hilfe Tirol weit. Auch in Fällen, wo beispielsweise die Krankenkassa nicht helfen kann, springt die Schneeschmelzgaudi ein. Chrissi erinnert sich an zwei Beispiele: „Wir hatten den Tod eines Familienvaters. Sein Konto wurde dann sofort von der Bank gesperrt, so ist die Familie zu keinem Geld gekommen. Hier konnten wir rasch helfen. In einem anderen Fall, wieder beim Tod des Vaters in einer Landwirtschaft, sind viele Nachbarn als Erntehelfer über den Sommer eingesprungen. Wir haben dann zusammen mit der Familie am Ende des Sommers als Dank dafür ein tolles Erntehelferfest organisiert!“

Alljährlich, pünktlich zur großen Schneeschmelze, findet der Höhepunkt des Vereinsjahres, das große Familienfest in Rinn, statt. Dort, wo schon sportliche Wettkämpfe von Roll-Rinn veranstaltet wurden, gibt`s ein großes Skirennen für jedermann und -frau, egal ob behindert oder nicht. Für alle Starter herrschen die gleichen Chancen, wird der Wettkampf doch als Gleichmäßigkeitsrennen ausgetragen. Bei diesen Rennen werden Menschen mit und ohne Handicap in Teams gelost, messen sich im mehr oder weniger ernsten, sportlichen Wettkampf und feiern anschließend gemeinsam für die gute Sache. Sogar ein Whirlpool ist trotz winterlicher Temperaturen ständiger, fixer Bestandteil im Festivalgelände. „Wichtig - die Inklusion funktioniert ohne große Worte, Eltern kommen mit ihren Kindern und diese lernen, dass rund 35 RollstuhlfahrerInnen ebenfalls ausgelassen feiern können und somit ganz normale Menschen sind!“, freut sich Chrissi. „Mit vereinten Kräften werden so Sponsorengelder und Spenden zusammengetragen, die für Menschen in Notsituationen eine finanzielle Hilfe darstellen und somit umgehend und unkompliziert direkt dorthin verteilt werden können, wo sie am dringendsten gebraucht werden!“ Das Fest stellt gleichzeitig auch den alljährlichen Kassasturz im Verein dar, bei dem die gesammelten Spenden des Jahres addiert werden. Waren es im ersten Jahr, ausgehend von 5.000 bis 6.000 erwarteten Euros, bereits 17.000, so erreichte man 2019 rund 36.000 Euro an Spendengeldern. Dieses Jahr fiel das große Familienfest, geplant für den 15. März, genau am Tag des Shutdowns – ohne Schneeschmelze – sprichwörtlich ins Wasser. Für 2021 ist der Termin für Sonntag, den 07. März in Rinn avisiert. „Es ist faszinierend, alle Mitwirkenden helfen kostenlos, auch die Bands spielen komplett ohne Gage und wollen auch beim nächsten Mal wieder mit dabei sein“, freut sich Chrissi über die steigende Popularität der Veranstaltung, die sich auch in den Medien in Tirol niederschlägt.

Wie entstand der Name „Schneeschmelzgaudi“?

„Wir Menschen sind so einzigartig und individuell wie Schneekristalle, jeder ein Unikat für sich und doch so eng miteinander verbunden wie der Schnee, der im Sommer als Schmelzwasser von den Bergen fließt. So schmelzen auch Vorurteile und wir lassen sie hinter uns. Die Gaudi entsteht durch unglaublich wertvolle Begegnungen nicht nur während des Events, sondern das ganze Jahr hindurch“, erklärt die fesche Blondine.

Wie sieht nun der Alltag bei Chrissi aus?

Nach ihrem Autounfall im Alter von 17 Jahren sei es ihr nie wirklich schlecht gegangen, doch durch den Sport habe sie sich komplett wiedergefunden, so die Osttirolerin. So fährt sie im Winter Monoski, hat die Skilehrerprüfung (Lehrwart für Behindertenskiarten) absolviert und unterrichtet hauptsächlich am Kaunertaler Gletscher Querschnittsgelähmte in dieser Sportart. Dieses Coaching und Training geht hinauf bis zum Rennlauf. Im Sommer fährt Chrissi Handbike (Liegebike), durch die Topografie in Osttirol fast immer „auf- und abwärts“, wie sie lachend zugibt. „Ich lebe eigentlich ganz normal, ich reise gerne, fahre Auto, probiere möglichst viele Sportarten aus. Vor zwei Jahren bin ich sogar Bob gefahren, ein unvergleichlicher Thrill für mich. Mein absoluter Wunsch wäre Helikopterskifahren, was aber wegen dem Tiefschnee für mich nicht geht. Aber das normale Pistenskifahren finde ich auch schon super!“ Hauptberuflich ist Chrissi bei der BH in Lienz tätig. In ihrer Freizeit besucht sie ehrenamtlich viele Schulen, um den Kindern die Angst vor Behinderten zu nehmen und über die Themen Inklusion und Integration zu sprechen. Ihr Ziel ist es, dass diese Begriffe in ein paar Jahren kein Thema mehr sind.

Chrissi, was ist deine absolute Barriere?

„Stiegensteigen. Das gehört verbessert, man muss halt immer schauen, ob es einen geeigneten Seiten- oder Hintereingang gibt. Zumindest sollten alle Betroffenen um Hilfe fragen, es gibt immer jemanden, der dir da hilft!“

Kooperationen

Als umtriebiger Verein hat das Team der Schneeschmelzgaudi natürlich Kooperationen mit anderen Vereinen: So mit dem Netzwerk Tirol oder mit dem Snowclan, der als Verein zur Förderung des Tiroler Behindertenskilaufs ja der eigentliche Dachverein der Schneeschmelzgaudi ist. Seit kurzem auch mit dem Projekt „Stille Helden“ und Susi Kra. Diese erinnert sich: „Wir hätten mit meiner Band „Jetzt und Wir“ ja am 15. März beim Fest spielen sollen. Nach dem Shutdown haben wir dann unsere Nummer „Stille Helden“ veröffentlicht und spenden alle Einnahmen gerne an Chrissi und ihr Team!“. Wichtig ist es allen Beteiligten auch, dass sowohl auf der Website als auch auf Facebook dokumentiert wird, wie und dass geholfen wird. So kann man sich immer über die aktuellsten Aktionen auf dem Laufenden halten und natürlich selbst bei der Schneeschmelzgaudi mit einer monetären Zuwendung das Schmelzen inklusive Gaudi unterstützen!

Stille Helden -  Sichtbar machen!
 

Susi Kra, Musikerin aus Innsbruck, hat den Corona-Lockdown positiv genützt und sehr erfolgreich das Projekt "Stille Helden" ins Leben gerufen. Ein weiterer Beweiß dafür, dass trotz oder gerade durch Covid-19 tolle neue Ideen in Tirol umgesetzt werden.

Susi, du hast „Stille Helden“, ein Kunstprojekt für Familien von kranken und behinderten Kindern ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Ich bin selbst Mama in einer Familie mit besonderen Bedürfnissen. Das jüngste meiner beiden Kinder kam mit einem schweren Genfehler zur Welt. Meine Tochter war von Beginn an ein Pflegefall, chronisch unterernährt, hatte eine permanente Magensonde, litt unter ständigem Juckreiz am ganzen Körper und hat deshalb jahrelang Tag und Nacht geschrien. Alle paar Stunden mussten wir ihr unterschiedliche Medikamente verabreichen und sie wurde mehrmals operiert. Ich habe meinen Brotberuf an den Nagel gehängt und ließ mich von Krankenpflege, Klinikaufenthalten, Kindererziehung, Haushalt und all den damit verbundenen Sorgen fast zerreißen. Von jetzt auf gleich war ich Pflegekraft, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Sonst blieb nichts von mir übrig.

Durch unbeschreibliches Glück und medizinische Höchstleistungen besserte sich der Gesundheitszustand unserer Kleinen und wir können heute wieder ein (fast) normales Leben führen. Eine Wendung, die nur sehr wenigen vergönnt ist. In dieser Zeit habe ich am eigenen Leib erfahren, wie isoliert und unsichtbar Familien mit kranken oder behinderten Kindern sind. Sie kämpfen allein, weil sie weder Kraft noch Zeit haben, sich zu vernetzen. Von der Allgemeinheit werden sie maximal bemitleidet und als  Opfer der Behinderung oder Krankheit gesehen. Dabei ist es ihre gesellschaftliche Unsichtbarkeit, die ihnen das Leben schwer macht. Niemand schaut auf ihre Bedürfnisse und schafft Strukturen, die sie entlasten. Mit Unterstützung in der häuslichen Pflege, Assistenz an Schulen, Vereinfachung des Behördenweges, behindertengerechten Spielplätzen usw. wäre ihr Leben um vieles leichter. Darauf hätten sie gemäß der UN Behindertenkonvention, die Österreich unterzeichnet hat, auch ein Recht. Das allerdings ist in den meisten Fällen nur Theorie.

Was ist das Projekt genau und wie hat es begonnen?

Die Coronakrise, in der diese Familien trotz Wegfall aller Therapie- und Betreuungsmöglichkeiten keine Unterstützung von öffentlicher Seite erfahren haben, hat einen Funken in mir entzündet. Ich bin Künstlerin und hatte den Song „Stille Helden“ schon länger in der Schublade. Damit wollte ich diesen Familien meine Stimme geben. Der Text stammt aus einer dunklen Nacht mit meiner Tochter im Krankenhaus und erzählt von den Herausforderungen eines solchen Lebens. Im April dieses Jahres hat ihn meine Poprock-Band „Jetzt und Wir“ gemeinsam mit sechs nationalen und internationalen Musikerinnen aufgenommen. Einige von ihnen sind selbst stille Helden. Parallel dazu gründete ich die Facebook-Gruppe „sovielestillehelden“, in der mittlerweile über 1000 Mitglieder ihre eigenen Geschichten erzählen oder Beiträge zum Thema posten, um sich selbst und andere sichtbar zu machen. Auf diesem Weg fanden wiederum 12 KünstlerInnen zu mir, die mir berührende Bilder mit Szenen aus dem Liedtext für das Musikvideo anfertigten. Noch vor dessen Veröffentlichung Ende Juni launchte ich die Website www.stille-helden.at. Dort werden alle Beitragenden vorgestellt und monatlich ein neuer Bericht zum Thema in Textform, Audio oder Video veröffentlicht. Dazu gibt es Informationen über meine KooperationspartnerInnen. Im ebenfalls monatlich erscheinenden Newsletter halte ich meine AbonnentInnen auf dem Laufenden, schenke ihnen Blicke hinter die Kulissen und erzähle von meinem künstlerischen Schaffen rund um meine Geschichten im Kaninchenbau.

Den Song „Stille Helden“ kann man auf Spotify und Co streamen oder gratis auf unserer Website downloaden. Das Video gibt es ebenfalls dort und natürlich auf youtube unter „Jetzt und Wir – Stille Helden“. Eine freiwillige Spende ist immer willkommen und geht an meine Partnerin, die Tiroler Projektgruppe „Schneeschmelzgaudi“. Das ist eine äußerst engagierte Truppe, die schnell und unkompliziert hilft, sei es durch Finanzierung von Spezialrollstühlen, wenn sich die Krankenkasse querstellt, oder einer lebenswichtigen Operation, die nur im Ausland durchgeführt werden konnte.

Mediales Echo:

Das Thema hat einen Nerv getroffen, denn nicht nur die Mitgliederzahl der Facebookgruppe bzw. der Newsletter-AbonnentInnen wächst. Ich bekomme unzählige Nachrichten auf allen Kanälen und auch die Medien interessieren sich dafür. Die Tiroler Tageszeitung veröffentlichte im Juni ein Portrait und sogar dem ORF war das Projekt einen Bericht im Nachrichtenmagazin „Tirol Heute“ wert. Der Song wurde im ORF Radio Tirol vorgestellt und im Herbst bin ich Studiogast in einer Sendung des privaten Wiener TV-Senders Okto. Des Weiteren habe ich einen Termin für ein persönliches Gespräch mit der Tiroler Landesrätin für Soziales, Gabriele Fischer, die sich vor Jahren gegen die Missstände im damaligen TILAK (heute Tirol Kliniken) einsetzte.

Was mich besonders freut, mein Aktivwerden hat auch andere inspiriert, Teil des Projekts zu werden. Ein Philosoph schreibt einmal in der Woche einen Text mit seinen Gedanken in die Facebookgruppe. Ein Fotograf, der selbst im Rollstuhl sitzt, postet regelmäßig Bilder, die er barrierefrei für Sehbehinderte aufbereitet. Es gibt Buchempfehlungen, rege Diskussionen, Videobeiträge und einen inspirierenden Austausch. In dieser wunderbaren Mischung aus Kunst und Tatsachen ist jeder Input herzlich willkommen.

Weitere Vorhaben:

Ich habe mich mit der Schneeschmelzgaudi und dem Verein „Arche Herzensbrücke“ zusammengetan und wir wollen 2021 bzw. 2022 durch besondere Kunstaktionen in ganz Tirol auf dieses Thema aufmerksam machen.

Des Weiteren arbeite ich mit dem „Verein für Integration Tirol“ zusammen, der sich beratend aber auch als rechtliche Vertretung für stille Helden in den behördlichen Verfahren über Pflegegeld etc. einsetzt. Hier besteht dringend Verbesserungsbedarf auf politischer Seite. Denn rechtlich steht den Familien zwar finanzielle Unterstützung zu, es wird ihnen aber durch langwierige Verfahren und strukturelle Verkomplizierung unmöglich gemacht, diese auch zu bekommen. Darüber hinaus gibt es in Tirol – anders als in anderen Bundesländern – kein Angebot zur Unterstützung der Familien bei der häuslichen Pflege. Viele Kinder müssen künstlich ernährt und in der Nacht umgebettet werden, weil sie sich nicht selbständig drehen können. Manche hängen an Beatmungsgeräten und brauchen 24 Stunden pflegerische Betreuung, von den etlichen Therapieterminen ganz zu schweigen. Oft gibt es auch Geschwisterkinder. Die Eltern müssen mit dieser Situation allein fertig werden und man kann sich nur schwer vorstellen, wie diese stillen Helden ein solches Leben durchhalten.

Von all dem bekommt niemand etwas mit, deshalb ist Sichtbarkeit und Vernetzung so wichtig. Denn mit einer wachsenden und immer stärker werdenden Community können wir die EntscheidungsträgerInnen aufrütteln. Wie schon gesagt, es sind nicht die Kinder, die die Eltern in die Knie zwingen. Es sind die äußeren Umstände und die kann man ändern. Wenn man will.

Deshalb lade ich hiermit alle ein, die etwas ändern wollen, Teil der Stillen Helden zu werden: Besucht die Website, ladet euch den Song runter, teilt ihn in den sozialen Netzwerken, meldet euch für den Newsletter an, werdet Mitglied in der Facebook-Gruppe oder schreibt mir. Redet darüber mit eurem Umfeld und helft so mit, Sichtbarkeit zu schaffen. Seid mit mir gemeinsam laut für stille Helden!

www.stille-helden.at

Text: Bernhard Schösser
Fotos: Bernhard Schösser, Flo Taibon, Susi Kra