Stephanie Venier

Was raus kommt, kommt raus!

 

Stephanie Venier aus Oberperfuss gilt als heißes Eisen bei den Skidamen und als Anwärterin auf den Abfahrtsgesamtweltcup. FREIZEIT-TIROL traf die fesche Speedlady am Fuße des Bergisel zu einem sehr relaxten und ausführlichen Gespräch.

Hallo Stephi, stell dich unseren Lesern doch mal kurz vor!

Nun, ich bin 25 Jahre alt, bin in Oberperfuss direkt neben der Piste aufgewachsen, daher ist es nicht verwunderlich, dass ich Skirennfahrerin geworden bin. Sportlich hatte ich vorher schon sehr viel ausprobiert: Fußball, Laufen oder Rodeln, ich war überall dabei! Nach der Volksschule in meinem Heimatort war ich in der Hauptschule in Kematen. Dann hat mich mein Vater vor die Wahl gestellt: Entweder in die HBLA in Innsbruck zu gehen und das Skifahren aufzugeben oder nach Stams in die Skihandelsschule zu wechseln. Für mich war damals schon klar, dass ich Skirennfahrerin werden wollte. So habe ich mich für die Handelsschule entschlossen, weil diese ein Jahr kürzer als das Gymnasium dauerte, und mir das Skifahren wichtiger war als die Schulbank zu drücken. Da ich mich in der Schule und beim Lernen sehr leicht getan habe, konnte ich so umso früher mit dem Training beginnen.

Wie kann man sich den Rennbetrieb im Hause Venier vorstellen?

Früher war ich bei den Rennen nie top, ich bin einmal im Slalom 10 Sekunden hinterher gefahren. Ich habe keinen Landes- oder Europacup gewonnen, nur einmal ein FIS-Rennen, so richtig aufregend war das damals nicht. Trotzdem bin ich gerne gefahren und meine Eltern haben mir das ermöglicht. Neben mir wollte meine um drei Jahre jüngere Schwester Bianca auch Rennen fahren, also war es für meine Eltern eine enorme Herausforderung. Meine Mutter ist Hausfrau, mein Vater Bierführer bei der Brauunion. Mein Vater ist in der Freizeit fast ununterbrochen im Skikeller gestanden und nebenher mit der Pistenraupe am Rangger Köpfl gefahren, damit wir uns das Skifahren auf diesem Level leisten konnten! Wir waren nie auf Urlaub, unsere Eltern investierten das gesamte Geld in den Skisport ihrer Töchter. Auch von Onkel und Tante bekamen wir finanzielle Unterstützung. Zum Glück ist mein kleiner Bruder nicht auch noch Rennen gefahren - er ist dafür sonst bei allen Vereinen im Ort mit dabei! Bianca hat das Rennfahren 2018 aufgegeben, arbeitet mittlerweile bei der Polizei und ist eigentlich meine beste Freundin, die mich ebenfalls mit aller Kraft unterstützt. In der heutigen Zeit klingt unsere Geschichte eigentlich schon unvorstellbar, mittlerweile kommt der Skinachwuchs nur mehr aus Familien mit großen Hotels oder gutgehenden Firmen der Eltern...

Wie war damals das Training?

Unsere Mutter holte uns von der Schule ab und hatte vorab schon Schnitzelburger als Mittagessen vorbereitet. Wir sind ins Kühtai zum Trainieren mit dem Racecamp Nindl gefahren, um fünf Uhr dann wieder nachhause, um Schulaufgaben zu machen. Das ist fast den ganzen Winter so gewesen. An den Wochenenden starteten wir bei den Rennen. Das war zu meiner Hauptschulzeit der ganz normale Alltag.

Wie hat sich deine Karriere dann entwickelt?

In Stams war für mich zunächst die Umstellung zum Internatsleben ungewohnt, zum Glück war ich nicht allzu weit weg von zuhause. Mein Stern begann zu steigen, als ich in der zweiten Klasse in Stams war: 2013 fand die Junioren WM in Kanada statt, ich hatte bis dorthin gar nichts gewonnen. Doch ich hatte eine ansteigende Formkurve, war immer vorne mit dabei, also durfte ich mit zur WM. Als ich mit ein paar anderen Fahrerinnen in der Gondel saß, fragte mich ein Trainer: "Was erwartest du dir von der WM, Stephi?". Mein Vater sagt immer: "Was raus kommt, kommt raus, mach dir keinen Druck!". Das war und ist eigentlich immer noch mein Motto. Eine andere Läuferin meinte auf dieselbe Frage, dass sie eigentlich schon mit zwei Medaillen rechnen würde. Am Ende erreichte ich dann den Sieg im Super-G und die Silbermedaille in der Abfahrt, die angesprochene Kollegin ging leer aus. Ab diesem Zeitpunkt begannen dann meine Erfolge.

Du bist ja vom Slalom, also von den technischen Disziplinen, zu den Speedbewerben (Abfahrt, Super-G) gewechselt. Warum?

Ganz ehrlich: Es hat mir mehr Spaß gemacht und ich hatte hier meine ersten Erfolge.

Der Erfolg kam bei dir ja stufenweise, nicht plötzlich und geballt, wie bei anderen.

Ja, ich erreichte in der Saison 2016/17 in Garmisch den 2. Platz im Super-G. Das war mein erster Weltcup-Podestplatz. Am 12. Februar 2017 folgte in St. Moritz bei meiner ersten WM die Silbermedaille in der Abfahrt. Am 27. Jänner 2019 gelang mir dann bei der Abfahrt in Garmisch mein erster Weltcup-Sieg. Im Abfahrtsgesamtweltcup schaffte ich es letzte Saison bereits auf den zweiten Platz. Das Olympiajahr 2018 war nicht so erfolgreich. Wir hatten einen Trainerwechsel gehabt und ich bin mit den Trainern nicht so zusammen gekommen. Wenn bei mir der Wohlfühlfaktor fehlt, schlägt sich das auch in der Leistung nieder.

Was erwartest du dir jetzt von der kommenden Saison 2019/20?

Nun, irgendwann möchte ich den Abfahrtsweltcup gewinnen, nachdem ich letzte Saison ja Zweite war. Das ist natürlich schwer planbar, da du dafür über die ganze Saison top fahren musst. Ob ich dieses Ziel in der kommenden Saison erreiche oder erst in ein paar Jahren ist mir eigentlich egal. Klar, je schneller, desto besser. Das ist mein aktuelles Ziel!

Nun berichten die Medien ja jährlich wiederkehrend vom enormen Termindruck und Stress, den eine Rennsaison im Weltcup bei den Sportlern verursacht. Wie geht es dir damit?

Mich betrifft das zum Glück nicht so, da ich ja nur die Speedrennen und somit nicht alle Disziplinen fahre. Ich würde gerne auch Riesentorlauf fahren, fürchte jedoch, dass dann die schnellen Disziplinen durch den straffen Rennkalender leiden könnten. Wir trainieren ohnehin viel Riesentorlauf, ich kann auch hier schnell fahren, doch es rentiert sich momentan nicht, dafür etwaige Erfolge in Abfahrt oder Super-G zu opfern. So bin ich lieber in den schnellen Bewerben top. Fahrerinnen, die alle Rennen bestreiten, wie Mikaela Shiffrin oder Viktoria Rebensburg, haben ein eigenes Team hinter sich, das ihnen alles - sogar die Koffer am Flughafen - abnimmt, ein Team, das nur auf den Erfolg der Athletin ausgerichtet ist. Für mich passt es aktuell so wie es ist sehr gut, ein wenig Selbständigkeit erhalte ich mir gerne.

Mikaela Shiffrin scheint ja, wie zuletzt Marcel Hirscher, in einer eigenen Liga zu fahren?

Nun, bei Mikaela wurde von klein auf für den Erfolg gezielt hingearbeitet. Ihre Eltern sind von zuhause nach Vail weggezogen, damit sie Skifahren konnte. Ich bin froh, dass es bei mir umgekehrt ist. Ich kenne genug Mädels, die von ihren Eltern zum Rennfahren hingedrillt wurden, top gefahren sind, viele Rennen gewannen und den Rennsport dann trotzdem aufgaben. Ich denke, meine Eltern haben das alles richtig gemacht, ich habe immer noch Spaß am Skifahren. Schau, wenn wir heute nach Übersee fliegen, bezahlt der ÖSV den Economy Flug. Ich könnte mir auch einen Businessflug leisten. Viele meiner Kolleginnen buchen das Upgrade, ich tue das aus Prinzip nicht, da ich immer daran denke, wie meine Eltern Freizeit und Geld geopfert haben, damit ich Skirennfahren konnte. Insgesamt ist der ÖSV hier absolut spitze, quasi "all inclusive": Flüge, Verpflegung, Hotel etc. werden bezahlt. Theoretisch kannst du also ohne einen Euro ausgeben zu müssen zu den Überseerennen fahren, was bei den anderen Nationen nicht so ist. Da müssen oft beispielsweise die Flüge von den Sportlern selbst bezahlt werden.

Wollen wir Skifahren jetzt mit Fußball vergleichen: Der ÖSV hat unter Präsident Peter Schröcksnadel ein Budget erwirtschaftet wie keine andere Nation. Vor allem in den westlichen Bundesländern gibt es in jedem Dorf enorme Nachwuchstalente. Eigentlich müsste Österreich alle anderen in Grund und Boden fahren, ähnlich wie drei bis vier finanziell potente Fußballclubs die Champions League dominieren. Warum ist das nicht so?

Hm, gute Frage! Ich denke, es fängt beim Geld an. Der ÖSV hat ungefähr 300 Athleten zu betreuen, die Amerikaner vielleicht 10, da bleibt beim Budget mehr über. Ich glaube aber auch, dass es heute oft ein mentales Problem in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen ist. Ich habe neben der Schule meinen Weg mit Härte zu mir selbst verfolgt, ich wusste, wo ich hin wollte. Schon Kinder können hier im Kopf stark sein und eine Konsequenz entwickeln. Möglicherweise sind sie heute aber auch zu ängstlich, etwas falsch zu machen.

Was erwartest du persönlich in der Saison eins nach Marcel Hirscher von deinen Kollegen im Skiteam?

Ich denke, Marcel hat die richtige Entscheidung getroffen. Für ihn war die Zeit gekommen aufzuhören. Er ist als Sieger abgetreten und bleibt auch so in Erinnerung. Ich erwarte, dass andere Fahrer in den Vordergrund kommen, wie Marco Schwarz oder Manuel Feller, die ja schon tolle Rennen gezeigt haben. Das war ja auch so, als Hermann Maier aufhörte oder als Anna Veith verletzt war, es sind andere in die Lücke gesprungen und konnten diese füllen.

 

Hast du eigentlich Kontakt zu deinen männlichen Rennkollegen?

Ein wenig mit den Speed-Herren, wenn wir am gleichen Hang trainieren. Bei den Technikern eher weniger.

Wie sieht momentan ein Jahr bei Stephanie Venier aus?

Die Rennsaison endet Mitte März. Dann folgen zwei Wochen Pause, wo du eigentlich nichts tun solltest, außer Urlaub zu machen. Anfang April startet das Konditionstraining. Ich trainiere im Olympiazentrum in Innsbruck, das ist auf der USI beim Flughafen. Der Trainer erstellt, abgestimmt auf die Jahresziele, einen Trainingsplan, wo ich stärker und besser werden muss. Wir starten mit Grundlagenausdauer, heuer bin ich hierfür sehr viel mit dem Rennrad gefahren. Das ist vor allem für die Regeneration wichtig. Einmal im Monat fahren wir dann mit Trainern und allen Mädels auf einen gemeinsamen Trainingskurs, beispielsweise zum Klettern, was Abwechslung und Spaß bedeutet. Ich trainiere normalerweise bis Samstagmittag, gelegentlich auch noch Samstagnachmittag. Sonntag ist Ruhetag und Pause. Ab August startet, abhängig von der Schneelage, das Schneetraining. Heuer waren wir zuerst am Stilfser Joch, dann in Saas Fee und anschließend für zweieinhalb Wochen in Chile. Es folgte nochmals ein Konditionskurs am Gardasee und jetzt (Oktober) fahren wir Ski, wo es möglich ist. Vor dem Weltcup-Auftakt Ende Oktober in Sölden trainieren wir dort Super-G. Mitte November fliegen wir nach Amerika, nach Copper-Mountain, zum Training, Anfang Dezember nach Kanada. Dort startet dann in Lake Louise die Weltcup-Saison. Es ist also oft nicht so einfach eine Beziehung, das Skifahren, Familie und Freunde unter einen Hut zu bekommen.

Wie lange willst du noch weiterfahren?

Solange es mir Spaß macht. Die Weltmeisterschaft in Courchevel ist 2023, die Olympischen Spiele 2022 in Peking. Bei diesen beiden Großereignissen möchte ich auf jeden Fall noch dabei sein. Allerdings hängt das auch immer ab, wie es dir körperlich geht, und ob du verletzungsfrei bist. Und irgendwann möchte ich dann schon eine Familie mit Kindern haben...

Danke für das ausführliche Gespräch! Alles Gute für die kommende Saison, wir drücken die Daumen für den Abfahrtsgesamtweltcup!

 

Text: Bernhard Schösser
Fotos: ©TechnoGym, Bernhard Schösser, privat