Tanja Lechner: "Light and Fast"

In unserem Magazin waren schon große und bekannte Profi - Alpinisten wie Tamara Lunger, sowie die alpinen Hochgebirgsgruppen der Wettersteiner und Gipfelstürmer, zu Gast. Dass es auch Sportler gibt, die in ihrer Freizeit herausragende alpinistische Leistungen erbringen, ist ebenso bekannt. Exemplarisch für diese Damen und Herren möchten wir Tanja Lechner vorstellen, die uns in einem sehr persönlichen Interview äußerst private Einblicke in ihre Leidenschaft, den Bergsport, gab.

Tanja, stell dich doch bitte unseren Lesern mal vor.

Ich bin Tanja, bin 36 Jahre alt und Mama zweier wundervoller Buben, 9 und 5 Jahre alt. Ich lebe in Tirol und verbringe der Liebe wegen viel Zeit in Salzburg. Neben dem vielen Training, dem Bergsport und dem Mamadasein, arbeite ich als diplomierte Ordinationsassistentin bei einer Neurologin in Hall. Ich lebe in einer sehr glücklichen Partnerschaft, bin unendlich dankbar einen so wunderbaren Mann und großartigen Alpinsten, nicht nur am Berg, sondern auch im Tal, an meiner Seite zu haben. Ich lebe quasi in einer perfekten Seilschaft!

Wann hast du mit dem Bergsport begonnen?

Begonnen habe ich mit Berg- und Traillauf vor 15 Jahren. Ich habe mich nur sehr langsam an das Gebirge herangetastet. Mit der Geburt meines ersten Sohnes habe ich mich voll der Mutterrolle gewidmet und mein Training wieder auf Laufen und Wandern reduziert. 2014 habe ich dann mit dem Bergsteigen angefangen und seitdem lebe ich das ganze Jahr für diese Leidenschaft! Mich der unbändigen Kraft der mächtigen Berge zu stellen und deren imposante, karge Schönheit ziehen mich an!

Was bedeutet Bergsteigen für dich?

Bergsteigen bedeutet für mich Ausgleich zu meinem Alltag! Abschalten. Bergsteigen fordert mich und schafft zugleich Erholung! Beim Bergsteigen erlebe ich mit meinem Partner große Emotionen und unter anderem auch die Art von Romantik, die ich gerne habe. Manchmal bedeutet es aber, an die persönlichen, körperlichen Grenzen zu gehen und auch darüber hinaus! Vor allem bedeutet Bergsteigen für mich mentale Stärke. Der Körper spielt nach jahrelangem Training sehr lange mit, aber der Kopf ist der wichtigste Part in vielen Situationen! Bergsteigen verbindet Menschen und die Natur zeigt mir die Werte auf, die ich meinen Kindern täglich zu vermitteln versuche. Bergsteigen ist für mich nach jeder Rückkehr von oben, unten eine Andere zu sein!

Wie bist du zum Hochalpinismus gekommen?

Mich haben die Gletscher und die verschiedenen Anstiege im kombinierten Gelände schon immer fasziniert! Mit der Zeit empfand ich Wanderungen nur noch als Ausdauertraining. „Light and Fast“ war und ist noch immer die Devise! Ich habe viele Bücher von großartigen Alpinisten gelesen und diese bewundert, wie spielend leicht sie sich in diesem Gelände bewegen! Die landschaftliche Schönheit, wie auch die Herausforderung, mit und in diesem Gelände zurecht zu kommen, waren der Antrieb für mich, mit dem Hochalpinismus zu beginnen. Sehr schnell ging es erstmal an die notwendigen Basics wie Seiltechnik, üben am Fels, Spaltenbergung, Hochtourenkurse, Gelände-, Wetter- und Materialkunde. Medizinisch bin ich gut ausgebildet, denn auch dieses Thema spielt im Hochgebirge gerne mal mit.

Viele kennen dich aus den sozialen Medien, du bist aber keine gesponserte Influencerin?

Ohhh, nein! Ich bin beim besten Willen keine gesponserte Influencerin. Dazu fehlen mir die Ambitionen, da ich einfach nur Bergsteigen will. Mein Partner fotografiert leidenschaftlich gerne und diese großartigen Bilder teile ich auf Instagram und Facebook! Ich stehe auch nicht so gerne vor der Kamera, was meinem Partner aber herzlich egal ist! Für mich steht vielmehr der Bergsport und die Leistung hinter diesen Bildern im Vordergrund! Mir passiert es sehr häufig, gerade an stark frequentierten Tagen auf sogenannte Modebergen, dass ich erkannt werde! Ich selber empfinde es aber oftmals als unangenehm, da ich nicht gerne im Vordergrund stehe und ein zurückhaltender und ruhiger Mensch bin. Ich persönlich verstehe auch nicht, warum ich einen solchen Wiedererkennungswert habe! Der Grat, zwischen dem Tun einer aktiven Bergsteigerin und als Influencer rüber zu kommen, ist für eine Frau im Social Media Bereich sehr schmal. Ich finde es aber gleichzeitig unheimlich schön, dadurch so viele bergbegeisterte Menschen im realen Leben kennenzulernen, die dieselbe Leidenschaft für das Bergsteigen teilen wie ich! Social Media spaltet, zugleich verbindet es aber auch.

Wie bereitest du dich auf Hochtouren vor?

Vor den Hochtouren setze ich mich genauestens mit den Anforderungen der jeweiligen Tour auseinander. Welche Ausrüstung wird benötigt. Welche Leute sind dabei und wie werden die Seilschaften gebildet. Welche Schlüsselstellen erwarten uns, wie lange werden wir unterwegs sein und gibt das Wetter die Tour frei. Das Wetter wird außerdem schon lange vor der geplanten Tour beobachtet, denn auch im Sommer sollten die Themen Neuschnee und Vereisung nicht außer Acht gelassen werden. Die Verhältnisse bestimmen den Berg und diese abschätzen zu können, ist das Fundament einer sauberen Tour! Ansonsten wird vor den Hochtouren gegessen und geschlafen, weil die Nächte auf den jeweiligen Hütten meistens sehr kurz sind, und das Essen oft vernachlässigt wird. Auch, weil das Glas Rotwein am Vortag zu gut ist und die darauffolgenden Tage im Hochgebirge meistens sehr lange sind! ;-)

In den letzten Jahren sind Bergsteigen und Skitourengehen sehr in Mode gekommen. Wie siehst du diese Entwicklung?

Ich sehe es wahrscheinlich zu kritisch, weil ich sehr viel am Berg erlebe, das bei mir Unverständnis auslöst. Zumal mein Partner auch ein ausgezeichneter Bergretter in leitender Position ist. Es bereitet mir große Sorgen, welchen Gefahren Bergretter, Flugretter, Piloten oder sonstige Einsatzkräften ausgesetzt werden, weil einfach die nötige Erfahrung, das Auge für das Gelände, die körperliche Verfassung, die passende Ausrüstung und der Umgang damit oder die richtige Selbsteinschätzung fehlen. Ich finde es erschreckend, wie schnell sich unerfahrene Menschen an die verschiedenen technischen Anstiege gewisser Berge heranwagen. Das Thema Sicherheit für einen selbst und vor allem des Seilpartners wird völlig außer Acht gelassen. Viele sind mental restlos überfordert und zum Teil körperlich am Ende!

Der Druck durch Instagram und Co ist immens! Ständig bearbeitete Bilder zu liefern und top gestylt am Gipfel zu stehen, ist für mich einfach nicht authentisch und hat nichts mit Bergsteigen zu tun! Es zählt nur noch der Gipfel und „Normalwege“ werden abwertend beurteilt. Genau dieser Druck lässt das aktuelle Chaos am Berg entstehen, denn mit Liebe zum Bergsteigen und vor allem mit Können hat das nichts mehr zu tun! Seit der Corona Pandemie bewegen sich unheimlich viele Leute in einem Gelände, wo sie einfach noch nicht hingehören! Ich finde es toll, dass der Sport boomt und so viel Menschen sich seitdem für die Berge begeistern können! Ich appelliere auch an unsere Patienten sich zu bewegen und Sport zu betreiben. Aber es sollte sich dadurch niemand selbst oder gar andere in Gefahr bringen!

Ein wichtiger Punkt ist also das Thema „Sicherheit“?

Für mich ist das ein sehr wichtiger Punkt, wenn nicht sogar der wichtigste neben dem Genuss am Bergsteigen! Ich trage nicht nur die Verantwortung für mich selbst, sondern für meine Kinder und meinen Seilpartner bzw. für die gesamte Seilschaft. Das ist oberstes Gebot! Ich muss für meine Kinder gesund ins Tal kommen, denn wenn die Mutter stirbt, leiden die Kinder nicht nur in diesem Augenblick, sondern sie leiden ihr restliches Leben lang! Ich habe wegen meinem Sport einiges an Kritik und Unverständnis, vor allem von anderen Müttern, erfahren. Aber nichts hat mich so geprägt wie dieser Satz und dieser blockiert mich leider immer wieder in oftmals ohnehin schon schwierigen Situationen. Diese Blockaden in solchen Momenten abzulegen, verlangt mir unheimliche mentale Kraft ab. Blockaden führen zu Fehlern und diese enden oftmals tödlich. Zur Sicherheit gehört neben all den technischen Hilfsmitteln, Knotenkunde, Lawinenkunde, Spaltenbergung, erste Hilfe, sichere Steig-und Gehtechnik oder körperliche und mentale Kraft vor allem auch das Auge für das Gelände! Die aktuellen Verhältnisse müssen vorher eingeschätzt werden können. Wie komme ich damit zurecht, wenn sich die Verhältnisse unerwartet verschlechtern? Erkenne ich Schneeverfrachtungen und in welchen Hang kann ich einfahren bzw. wo auch aufsteigen! Den Kopf nach oben gerichtet, was macht das aktuelle Wetter. Wie waren Wind und Wetter die Tage zuvor?

Abschließend ein wichtiger Punkt in Sachen Sicherheit: Angst. Das Rumpelstilzchen der Seele! Wer keine Angst kennt, lebt nicht lange, das wurde mir mal gesagt. Dem kann ich nicht beipflichten! Respekt vor dem Berg ist extrem wichtig, aber die Angst ist tödlich…

Was waren bisher deine persönlichen Highlights?

Als erstes muss ich sagen, dass auch die kleinen Momente unbeschreiblich sind und sich in jedem Menschen unterschiedlich einbrennen. So verschieden wie die Menschen sind, sind auch die erlebten Eindrücke und die damit verbundenen Gefühle, die im Herzen bleiben. Für mich einer der forderndsten und schönsten Touren war der Stüdlgrat auf den Großglockner mit Schieren am Rucksack im vergangenen Juni. Ich bin schon etliche Male am Gipfel gestanden und der Stüdlgrat war immer „nur“ eine Genusstour für mich! Aber dieses Mal haben mich die sehr winterlichen Verhältnisse und der durch das Gewicht der Schier am Rücken veränderte Schwerpunkt beim Klettern eines Besseren belehrt! Auch das berühmte Matterhorn (4478m), der Hintergrat auf dem Ortler (3905m), die Besteigung der Dufourspitze (4634m) oder der Mont Blanc (4810m) über die Cosmique Route, generell die verschiedenen Gratanstiege sind landschaftlich ungemein schön! Die verschiedenen Nordwände z.B. der Wildspitze, sind für mich Genusstouren. Winter- und Sommerhochtouren entscheiden sich ganz klar in meiner Priorisierung. Ich gehe im Sommer nicht so gerne auf klassische Schitourenberge, diese sind meist ohne Schnee nicht so schön.

Was sind deine nächsten Pläne?

Der Sommer ist noch lange und mich zieht es heuer noch ganz stark in die wunderschönen Westalpen. Dort finden wir Bergsteiger einen riesigen Spielplatz vor, der uns staunen lässt. Zermatt und Chamonix oder das Aostatal werden die Ausgangspunkte sein. Ein großes persönliches Anliegen ist mir, dass mein 9-jähriger Sohn Luca sich wünscht, von der Mama auf den Gipfel des Großglockners geführt zu werden. Des Weiteren das Matterhorn. Aber nicht, weil es der Prestigeberg eines jeden ambitionierten Bergsteigers ist, sondern weil mich dieser Berg sehr geprägt hat. Dort sind wir, wegen eines großen Steinschlages mit folgendem Absturz, nur knapp einer tödlichen Tragödie entkommen. Das "Horu", wie es die Einheimischen nennen, wollte uns nicht oben haben und hat es bestimmt nur gut mit uns gemeint. Dieser Gipfel ist unheimlich wichtig für mich, um das Erlebte zu verarbeiten und ist wegen der Tiefblicke ungemein schön! Das Matterhorn ist für mich aber auch ein Berg großer Gefühle. Dieser formschöne Berg widerspiegelt die Liebe zu meinem Partner und nur mit ihm an meiner Seite ist dieser Gipfel vollkommen.

Was würdest du abschließend jemandem raten, der jetzt auch anfangen will, Hochgebirgstouren zu machen?

Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, seinen Körper und vor allem seinen Geist und das am Ziel vorhandene Gelände kennenzulernen. Sich zu fragen, warum man das machen will und wie weit man dabei gehen will. Ständig über die eigenen persönlichen Grenzen zu gehen, bringt einen zwar irgendwie weiter, ist aber ein gefährliches Muster. Wer vom Wanderer zum Bergsteiger werden will, setzt einen Prozess in Gang. Wer hoch hinaus will, muss ganz unten anfangen! Wie wir alle!

Fotos: Martin Stifter

Text: Tanja Lechner & Bernhard Schösser