Der Klimawandel, der eigentlich nur noch von alubehüteten Bewohnern der Scheibe in Abrede gestellt wird, ist unschwer erkennbar. Steigende Temperaturen, vermehrte Unwetterereignisse wie Starkregen, Stürme oder massiver Hagel verwüsten europaweit nicht nur das Flachland, sondern hinterlassen auch im Gebirge eindrucksvolle Schäden. Durch das Verschwinden des Permafrosts brechen nicht nur Bergflanken ab, auch Wege werden komplett zerstört. Der Verband alpiner Vereine Österreichs, dem der Österreichische Alpenverein, die Naturfreunde Österreich und der Österreichische Touristenklub angehören, hatte sich zu diesem Thema mit einem „Notruf aus den Alpen“ zu Wort gemeldet. Für den Erhalt und die Sanierung der 272 Hütten und 50.000 Kilometer Wege in den österreichischen Bergen bräuchte es rund 95 Millionen Euro. Der Klubobmann der Grünen im Tiroler Landtag, Gebi Mair, forderte daraufhin 9,5 Mio. Euro vom Land Tirol für diese Erhaltung der wichtigen Infrastruktur durch die alpinen Verbände. FREIZEIT-TIROL traf Johannes Staud vom Österreichischen Alpenverein, um dieses brisante Thema ausführlich zu besprechen.
Die Kampagne "Notruf aus den Alpen" läuft seit über zwei Monaten. Wie kam es zu der Idee und was versprechen sich die Initiatoren davon?
Die Idee zur Kampagne "Notruf aus den Alpen" entstand aus der dringenden Notwendigkeit heraus, auf den Zustand vieler alpiner Infrastrukturen aufmerksam zu machen. Die Schutzhütten und Wege in den Alpen sind ein wesentlicher Teil unseres kulturellen Erbes und ein wichtiger Faktor für den nachhaltigen Tourismus. Wir sprechen hier bewusst von „Schutzhütten“, also Hütten, zu denen man mindestens eine halbe Stunde oder länger hingeht. In Tirol haben wir 48 dieser Hütten, beispielsweise das Defreggerhaus am Großvenediger, die Pfeishütte oder die Bettelwurfhütte. Das ist für Tirol eigentlich eine überschaubare Anzahl. Den größten Anteil hat die Steiermark mit 67 Hütten, in Vorarlberg sind es 13. Mit der Kampagne möchten die alpinen Vereine in Österreich das Bewusstsein für die aktuellen Herausforderungen schärfen. Herausforderungen, vor denen wir stehen, insbesondere angesichts des Klimawandels. Das Ziel ist es, Unterstützung zu mobilisieren, sowohl finanziell als auch politisch, um die notwendige Sanierung und Instandhaltung sicherzustellen.
Stichwort „politisch“ – Gebi Mair ist mit 9,5 Millionen vorgeprescht. Er erklärte auf unsere Anfrage nach dem Feedback darauf: „Zero. Null. Nada. Die Landesregierung hat das Problem ignoriert, wie alle anderen Probleme auch!“. Mair wird jedoch im Herbst diesen Antrag im Tiroler Landtag zur Abstimmung bringen. Wie sind die politischen Rückmeldungen sonst, die ihr als größter alpiner Verein von der Politik erhaltet?
Nun, österreichweit ist der politische Zuspruch sehr positiv. Die mit der Petition einhergehende touristische Infrastruktur und der Nutzen sind unbestritten. FPÖ und SPÖ wollen dieses Anliegen österreichweit unterstützen, auch soll es in die Landeshauptleute-Konferenz eingebracht werden. Wiewohl wir wissen, dass wir in Vorwahlzeiten aktuell damit quasi in der Luft hängen.
Ein brisantes Thema ist auch die Instandhaltung des Wegnetzes, gibt es da ebenfalls bereits Finanzierungsengpässe?
Ja, die Notwendigkeit zur Sanierung betrifft nicht nur die Hütten, sondern auch das 50.000 Kilometer lange Wegenetz in den Alpen. Der Klimawandel führt zu veränderten Wetterbedingungen, die Erosion und Schäden an Wegen begünstigen. Diese infrastrukturellen Herausforderungen erfordern erhebliche finanzielle Mittel für Instandhaltung und Anpassung. Leider gibt es auch hier Finanzierungsengpässe, die es schwierig machen, alle notwendigen Arbeiten zeitnah durchzuführen. Hinzu kommen immer häufiger auftretende Wegeschäden aufgrund von Extremwetterereignissen, die auch die Materialkosten (Werkzeuge, Brücken, Materialien, Schulungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche) in die Höhe treiben. Zum Glück gibt es unglaublich viele ehrenamtliche Helfer, die sich um diese Wege kümmern. Helfer, die beispielweise nach jedem Unwetter vom Stempeljoch über den „Wilde Bande Steig“ zur Bettelwurfhütte gehen, um nach Schäden zu schauen und diese zu beheben. Es werden die Freunde zusammengerufen und die notwendige Sanierung eingeleitet.
In Summe sprechen wir hier von über 1.000 ehrenamtlichen Helfern im Alpenverein! Wir haben das jetzt ausgerechnet: Wir geben pro Kilometer Weg und Jahr ca. € 46,00 für Material und Spesen aus. Das enthält auch eine kleine Entschädigung für den Funktionär von rund € 26,00 pro Tag. In Summe hochgerechnet sind das rund 2,3 Millionen pro Jahr. In Gebieten, wo wir keine ehrenamtlichen Helfer mehr haben, müssen wir die Arbeit an Wegebautrupps auslagern, beispielsweise am Stubaier Höhenweg. Diese Trupps kosten 10-mal so viel! Diese ehrenamtliche Tätigkeit ist daher von unschätzbarem Wert, da sie den Erholungssuchenden am Berg ermöglicht, die Wege kostenfrei zu nutzen und das Bergerlebnis zu genießen. Auch auf unseren Schutzhütten gibt es mit dem „Bergsteigeressen“ eine kostengünstige Verpflegung und leistbare Übernachtungsmöglichkeiten, da es uns als Alpenverein wichtig ist, dass die Berge für möglichst viele Leute zugänglich sind.
Die von uns eingesetzten Beträge aus der Vergangenheit halten aber nicht mehr, da die Gewitter, Starkregen oder Muren aktuell leider nicht mehr selten sind, sondern ein bis zwei Mal pro Jahr auftreten! Davor haben wir Angst. Wir müssen unseren vereinsinternen Katastrophenfond jedes Jahr ausweiten. Das geht jedoch auf Kosten anderer Aufgaben und Bereiche wie Jugendarbeit, Bergsport oder Naturschutz. Bis 2023 haben wir bereits ein Fünftel unseres Gesamtbudgets für die Instandhaltung von Hütten und Wegen aufgewendet. Da das nicht mehr ausreicht, haben wir seit 2024 eine „Hüttenumlage“ von € 2,50 pro Mitgliedsbeitrag (bei Vollmitgliedschaft) eingeführt. Diese fließt zusätzlich zu dem bereits bestehenden Fünftel in die Infrastrukturerhaltung.
Angenommen, die Kampagne ist erfolgreich: Wofür wird das gesammelte Geld konkret eingesetzt?
Sollte die Kampagne erfolgreich sein, wird das Geld wie geplant für die Sanierung und den Erhalt von Schutzhütten sowie für die Pflege und Instandhaltung des Wegenetzes eingesetzt. Es geht also um „die großen Sachen“ wie z.B. die Bettelwurfhütte oberhalb von Absam. Hier bauen wir die Materialseilbahn auf Werksverkehr um, damit Personal oder Handwerker zur Hütte fahren können. Die Kosten dafür belaufen sich auf 1 Million Euro. Oder die Generalsanierung der Glungezerhütte bei Tulfes. Das Dach ist undicht, und die Unterkünfte sind veraltet. Zudem steht die Hütte auf schwindendem Permafrost. Diese Generalsanierung kostet ca. 3 Millionen Euro.
Insgesamt bedeutet das, dass notwendige Reparaturen durchgeführt, teils über 100 Jahre alte Schutzhütten generalsaniert oder sogar ersetzt, energiesparende Maßnahmen implementiert und Sicherheitsstandards verbessert werden. Das geht so in einem 5-Jahreszyklus, beginnend mit Planungsarbeiten, wobei der „Peak“ sicherlich im 4. Jahr zu sehen ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anpassung an die klimatischen Veränderungen, um die Infrastrukturen langfristig zu sichern.
Sprechen wir vor der Nationalratswahl den Faktor „Zeit“ an. Sollte der Worst Case eintreten, die Kampagne ist nicht erfolgreich und die Regierung stellt keine weiteren Mittel zur Verfügung - welche Auswirkungen hätte das für die alpinen Vereine in Österreich?
Die Zeit läuft! Schon aktuell ist es so, dass wir bei der Jahreshauptversammlung nicht alle einlangenden Anträge bedienen können, also Beihilfenanträge der Sektionen reduzieren oder ablehnen müssen. Sollte der Worst Case eintreten, könnte dies gravierende Auswirkungen auf die alpinen Vereine und die gesamte Bergsportgemeinschaft haben. Ohne ausreichende finanzielle Mittel könnten viele Hütten geschlossen werden, was den Zugang zu den Bergen erschweren würde. Alle alpinen Vereine in Österreich gemeinsam verlieren pro Jahr drei bis vier Hütten! Auch das Wegenetz könnte zunehmend in einem unsicheren Zustand bleiben, was das Risiko für Bergsportler erhöhen würde. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf den Tourismus, sondern auch auf die Sicherheit und das kulturelle Erbe der Region. In einem solchen Szenario könnte die alpine Infrastruktur auf jene Hütten und Wege reduziert werden, die von einer besonders starken Sektion unterstützt werden. Sei es durch ihre Größe, ihre Unterstützer oder das ehrenamtliche Engagement. Bei anderen Hütten könnten einzelne Sanierungen nicht mehr finanziert werden, es könnte schwierig werden, behördliche Genehmigungen oder die erforderlichen Pächter zu bekommen. Das würde zu einem Verfall der Hütten führen. Eine Hütte, die nicht mehr genutzt werden kann, zieht oft auch den Rückzug aus der Wegbetreuung nach sich. Das hat zur Folge, dass Weitwanderwege nicht mehr funktionieren und das gesamte Netzwerk von Hütten und Wegen langfristig zerfällt. Ein aktuelles Beispiel, wo „der Hut wirklich brennt“, ist das schon erwähnte Defreggerhaus, das vom ÖTK (Österreichischer Touristenklub) betreut wird. Das ist ein kleiner, alpiner Verein mit ca. 40.000 Mitgliedern, der diese Hütte führen muss. Heuer gibt es einen neuen Pächter, für 2025 sieht es düster aus: Es steht eine umfassende Hüttensanierung mit 3-4 Millionen Euro an, eine Summe, die der Verein alleine niemals aufbringen kann.
Gibt es schon Rückmeldungen zur Kampagne?
Die Kampagne hat bereits positive Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit und von Unterstützern erhalten. Viele Menschen erkennen die Bedeutung der alpinen Infrastruktur und haben die Kampagne mit mittlerweile mehr als 30.000 Unterschriften auf der Plattform www.notruf-aus-den-alpen.at unterstützt. Da wir als „Non-profit“ Organisation keine bezahlte Werbung für die Petition machen dürfen, ist es leider schwer, Unterschriften zu bekommen. Trotz tollem Medienecho! So werden wir als Alpenverein mit unseren rund 700.000 Mitgliedern einen großen Schritt wagen und alle uns vorliegenden E-Mail-Adressen persönlich mit diesem Thema anschreiben. So etwas tun wir normalerweise nicht, mit diesem wichtigen Anliegen schon!
Alle Infos: www.notruf-aus-den-alpen.at
Text: Bernhard Schösser
Fotos: Archiv Alpenverein