„Ein Abend mit Anthrax“
Es war der 07. Mai 1986, als sich zwei Innsbrucker Schulschwänzer in der zweiten Klasse der österreichischen Bundesbahn nach München aufmachten, um dort ein legendäres Konzert zu besuchen. Drei amerikanische Newcomerbands wurden vom damals noch eher "undergroundigen" Magazin mit dem Hammer erstmals als Tourpaket nach Deutschland geholt, heute und hier in der Alabamahalle sollte für alle drei Bands der allererste Auftritt in Europa erfolgen. Die Namen: Agent Steel, Overkill und Anthrax!
Der Rest ist Geschichte, viele Jahre zogen für alle Beteiligten ins Land. Anthrax hatten als Teil der legendären "Big 4" zwischenzeitlich wohl am härtesten zu kämpfen. Seit der Reunion mit Sänger Joey Belladonna 2010 stehen die Zeichen wieder "auf Sturm", und so wurde fast 31 Jahre später von Seiten der Band und dem verbliebenen Ex-Schüler aus Innsbruck die nunmehr für alle komfortablere Reise in die bayrische Metropole angetreten. Die Grenzkontrollen waren 1986 noch Zöllner und Grenzpolizei, 2017 werden in Kiefersfelden Flüchtlinge gesucht. Nachdem trotz abgedunkelter Scheiben in unserem Van außer zwei Bleichgesichtern nichts anzutreffen ist, erreichen wir rasch das "Backstage". Eine lange Schlange an der Kassa macht klar, dass trotz prominenter Konkurrenz von Avenged Sevenfold und Disturbed im Zenith am selben Abend heute hier mit vollem Haus zu rechnen ist.
Opener sind The Raven Age aus London, Gitarrist und Band Chef ein gewisser George Harris, dessen Bass-spielender Vater übrigens auf den Namen "Steve" hört. Eine mit dem Bandnamen gleichnamige EP hatten die Briten 2014 bereits veröffentlicht, die neue CD "Darkness Will Rise" steht (wenn ich richtig recherchiert habe) unmittelbar bevor. Nun, musikalisch wird bereits kurz nach 19.30 Uhr ordentlich Gas gegeben, technisch sauber gespielt, die Doublebass richtig getreten. Die goldenen Zeiten, als Anthrax im Rahmen ihrer "Among the Living" Tour 1987 eine heiße und auf dem Weg nach oben befindliche Band mit dem Namen "Testament" als Opener dabei hatten, sind mittlerweile leider wohl auch vorbei. Heute und hier mühen sich die Briten redlich ab, ein paar Hände gehen nach oben, genauso viele (oder mehr) samt den dazugehörigen Körpern in den Biergarten nach draußen. Nun, ich werde mir die CD dann genauer anhören, wie fast alle hier bin ich aber klar wegen dem Headliner hier.
"An Evening with Anthrax" steht auf den Tourplakaten, wie genau sich das gestalten sollte, wurde ab 20.45 Uhr klar. Das "Backstage" ist mittlerweile dicht gefüllt, als die Amis zum unerkennbaren Riff von "A.I.R." die Bühne entern. Jetzt sind alle Besucher da und aus dem Häuschen, es wird trotz weniger Haaren gerockt und gemosht wie in den seligen 80ern! "Madhouse" verstärkt den starken Start, das folgende "Evil Twin" vom aktuellen Album "For All Kings" schafft dann den nahtlosen Spagat in die Neuzeit. Man sieht den nicht mehr ganz jungen Musikern an, dass sie nach wie vor mit totalem Spaß und Spielfreude hier auf den Brettern stehen. Die "Chefs" Charly Benante an den Drums und Gitarrist Scot Ian, sowie Benante`s Neffe Frank Bello am Bass sind wiedervereint und erstarkt mit Sänger Joey Belladonna aus der "glorreichen Formation" der 80er zurück, als weiteren Gitarristen hat man sich mit Jonathan Donais seit 2013 mit einem fähigen Klampfer verstärkt. Sänger Belladonna erweist sich auch heute wieder als perfekter Fronter, der nicht nur immer noch tadellos singt und im Pressegraben Hände abklatscht, sondern während Gitarrensoli seiner Kollegen schon auch mal Getränke ans Publikum verteilt. So wird mit Klassikern wie "Lone Justice" und aktuellem Stoff wie "Fight `Em `Till You Can`t" gnadenlos weitergemosht, München und Umgebung ist sprichwörtlich aus dem Häuschen ob der dargebotenen Klänge. Scot Ian, wie immer mit stilvollem Langbart und kurzer Hose am Start, verkündet auf seiner Klampfe mit dem Intro dann das nächste Highlight: "Be All, End All", ein weiterer Klassiker (und gleichzeitig heute die einzige Nummer) vom "State of Euphoria" Album.
"End All?" Tatsächlich verschwinden Anthrax nach dieser Nummer von der Bühne, das Saallicht geht an und es werden zwei Treppen links und rechts von Charly Benante`s Drumriser aufgebaut. Dann erschallen Slayer und Iron Maiden, allerdings gedämpft aus der Konserve, und rund 20 Minuten passiert - NICHTS! "Ein Abend mit Anthrax" scheint, wie beim Klassikkonzert - mit Pause - wahr zu werden. (Allerdings wissen die Klassikliebhaber vorher von der Pause und stärken sich dann stilvoll im Foyer der jeweiligen Halle). Nun, irgendwann geht abermals das Licht aus, mein Nörgeln sei an dieser Stelle beendet, denn die restlichen verbliebenen Fotografen dürfen ein weiteres Mal in den Pressegraben! Teil 2 der Thrashmetal-Gala startet. Und jetzt werden die "Altime-Faves" nahtlos aneinander gereiht herausgeballert: "Among The Living", "Caught In A Mosh" oder "I Am The Law" begeistern ebenso wie "N.F.L." oder das immer wieder geniale "Indians". Mit "Antisocial" als Zugabe wird der Sack endgültig zu gemacht, alle sind durchgeschwitzt und glücklich. Insgesamt spielen Anthrax also mehr als 130 Minuten netto (hier ist der "Sektempfang in der Pause" schon abgezogen) und hinterlassen einen mächtigen Eindruck. In dieser Form kann man sich getrost auf die Sommerfestivals freuen - Anthrax sind in unserem Breitengraden ja auch in Südtirol beim "Alpen Flair"-Festival im Juni nahe Brixen zu sehen! Wir werden wieder da sein, denn "We are caught in a Mosh!"
Redakteur: Bernhard Schösser