Kurt Matzler - Prof. RAAM

Bereits im FREIZEIT TIROL Magazin 11 (Dezember 2020 - siehe Story hier) stellten wir den Innsbrucker Universitätsprofessor Dr. Kurt Matzler als den „ultraradelnden Professor“ vor. Sein damaliges Ziel war der Einzelstart beim härtesten Radrennen der Welt, dem „Race Across America“ (RAAM) im Juni 2021. Corona machte einmal mehr einen Strich durch die Rechnung, doch 2022 war es soweit! Wie es ihm dabei ergangen ist, berichtet Kurt Matzler einen Tag, nachdem er quasi „im Vorbeifahren“ noch den Titel der Rotary-Weltmeisterschaft der Radsportler gewonnen hatte.

Vorab, um die Leistung und Relation zu verdeutlichen: Das härteste und größte Radrennen der Berufsradfahrer, die Tour de France, verlief dieses Jahr von 01. bis 24. Juli in 21 Etappen über 3.346 Kilometer und rund 30.000 Höhenmeter. Ein Profi fährt rund 30.000 Kilometer im Jahr Rad und verdient damit durchschnittlich 200.000 bis 300.000 Euro. Kurt Matzler und die StarterInnen des RAAM verdienen mit ihren Leistungen nichts. Viel Spaß mit dem folgenden Interview!

Kurt, wie hast du das eine Jahr RAAM – Wettkampfpause 2021 zur Vorbereitung auf das Rennen genützt?
Nun, ich bin neben meinem Vollzeitjob als Universitätsprofessor wieder rund 20.000 Kilometer im Jahr Rad gefahren. Durch den vorherigen Formaufbau waren die Leistungswerte spürbar besser wie 2021. Es war für mich beim Start ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass es von den körperlichen Voraussetzungen her schaffbar ist. Alles andere, das auf dich zukommt, weißt du ja vorab nicht.

Was geht dir am Start durch den Kopf, wenn du beispielsweise an extreme Hitze, Kälte oder an die amerikanischen Highways denkst?
Wir haben alles extrem erstklassig geplant, alles mitgehabt, deswegen war ich eigentlich sehr gelassen. Ich hatte im Vorfeld eine Woche in der Wüste für die Hitze trainiert, bin jeden Tag zwei bis drei Stunden zu Mittag gefahren. Ich bin bei Spitzentemperaturen von 51°Celsius 1.000 Höhenmeter einen Berg hochgeradelt und merkte, das klappt. Die Hitze war meine größte Sorge. Auch wusste ich, dass ich eine super Crew mithabe. Somit waren wir für alle planbaren Sachen sehr gut vorbereitet. Selbst bei den ungeplanten Dingen war meine Crew perfekt: Sie sind mit den Problemen erst dann zu mir gekommen, wenn sie bereits die Lösung dafür hatten. Somit war ich im Kopf immer frei, sobald ich am Start war, hatte ich alles abgegeben. Meine Aufgabe war das Treten, was auch genug war. Das Einzige, das ich selber entschied, war der Zeitpunkt, wann ich aufs Klo gehen wollte…

Was waren so unvorhergesehene Probleme, die du vorhin angesprochen hast?
Gleich am zweiten Tag gab es eine Umleitung wegen riesiger Waldbrände in Flagstaff. Dort war meine Schlafpause in einem Hotel vorgesehen, was somit nicht möglich war. Nachdem ich am ersten Tag 550 Kilometer in der Wüste unterwegs war, hatte ich eine kürzere Etappe mit 440 km eingeplant. Daraus wurden dann 600 km, da das nächste Hotel erst in Duba-City war. Außerdem gingen mir an diesem Tag zwei meiner insgesamt vier Räder kaputt. Beim ersten Rad sind die im Rahmen innenliegenden Schaltkabel auseinandergegangen, vermutlich durch die Erschütterungen vom Transport im Auto. Beim anderen Rad, das war gerade drei Monate alt, war der Freilauf defekt. Da das meine beiden wichtigsten Räder waren, war dieser Tag zusammen mit der Umleitung für mich mental sehr hart. Doch ich schaffte es zur Schlafpause nach Duba-City. Zwei Tage später bekam ich meine Räder zurück. Diese konnten in Durango in den Rocky Mountains in einem Radgeschäft repariert werden. Das waren die großen unvorhersehbaren Themen, alle anderen Sachen wie Knie-, Sitz- oder Nackenprobleme hatten wir eingeplant. Sobald diese auftraten, haben wir sie sofort behandelt. Auch das Essen hat super funktioniert, ich benötigte ja 15.000 Kalorien pro Tag.

Thema „Schlafpause“, du warst der einzige Teilnehmer beim RAAM, der im Hotel geschlafen hat?
Ja, alle anderen Starter hatten Wohnmobile. Mir war es wichtig, dass die Crew und ich gut schlafen konnten. Die 2 bis 2,5 Stunden Schlaf, die ich pro Tag hatte, wollte ich mit entsprechender Infrastruktur und Platz nützen. So hatten wir 120 Hotelzimmer im Voraus gebucht. Es ist immer ein Teil der Crew vorausgefahren und hat eingecheckt. So konnte ich bei meiner Ankunft im Hotel sofort ins Zimmer durchmarschieren. Dort bekam ich als erstes eine Schlaftablette, dann folgten Dusche und Zähneputzen und das Bett. Während ich schlief, hat mich meine Ärztin untersucht, ich wurde massiert, sie haben mir die Kompressionssocken angezogen. Einmal ist die Ärztin, die ja selbst kaum Zeit zum Erholen hatte, während der Massage auf mir eingeschlafen! Ich bekam nichts davon mit. Nach diesen Schlafpausen benötigte ich rund 20 Minuten für Frühstück und Anziehen, dann saß ich wieder auf dem Rad. Die ersten ein bis zwei Stunden waren anschließend wirklich brutal, da ich gegen die Müdigkeit zu kämpfen hatte. Wir haben alles Mögliche versucht. Am besten funktionierte es, mit Kopfhörern Kabarett von Hader oder Niavarani anzuhören. Ich möchte nicht wissen, was sich die Leute dachten, als sie mich laut lachend auf dem Rad vorbeifahren sahen. Während der Nacht sind teilweise Schlafprobleme aufgetreten, bis hin zu Halluzinationen. Das ist besonders bei den Abfahrten ein Problem, der Kreislauf geht runter und du wirst müde. Da halfen mir dann Riechsalz oder ein kurzer Powernap im Auto.

Diese Hotelvariante erfordert sicher eine akribische Planung?
Stimmt, du musst die Strecken exakt planen. Ich bin immer zwischen 20 und 30 Stunden gefahren. Da überlegst du im Vorfeld genau, wieweit du es in dieser Etappe schaffst. Dann musst du dort noch ein Hotel finden. Und dann den Check-In vorher passend vereinbaren, da du ja teilweise um 08.00 Uhr in der Früh oder um 02.00 Uhr in der Nacht eintriffst, also außerhalb der normalen Hotel Zeiten. Mir war im Vorhinein klar, dass ich mit meiner Hotelvariante zu Beginn Zeit auf die anderen Teilnehmer verlieren würde. Ab der Hälfte begann ich aufzuholen und bin mit einer Leichtigkeit an Konkurrenten vorbeigefahren. Diese haben nichts mehr mitbekommen, so fertig waren sie wegen Schlafentzug und Erschöpfung. Ich war auch im Ziel noch relativ fit. Wir sind anschließend gemeinsam vor dem Schlafengehen noch Biertrinken gegangen. Zwei Tage nach dem Rennen hatte ich keine Schmerzen mehr, rund zwei Wochen später war der Ruhepuls wieder normal. Mit dieser Strategie gewinnst du zwar das RAAM nicht, du kannst es aber halbwegs als Mensch finischen, ohne dass du dir gesundheitliche Schäden zufügst. Hart ist es immer, das ist klar, aber du gehst nie über deine Grenzen!

Du hast bereits mehrfach deine fantastische Crew erwähnt, wie war die Zusammenarbeit?
Es waren insgesamt 12 Leute, Freunde und Bekannte, für mich mit dabei, drei davon als Medienbegleitung. Alle haben unbezahlt ihren Urlaub dafür verwendet. Zumindest entstanden ihnen keine Kosten, da alles finanziert werden konnte. Wir haben uns in drei Schichten zu je 8 Stunden aufgeteilt. Mir war wichtig, dass die Leute halbwegs ausgeruht und bei guter Laune sind, was auch bis zum Ende geklappt hat. Ich bin mir sicher, ich hatte die beste Crew. Ich beobachtete das immer bei den anderen Startern: Wenn ich beispielsweise eine 5 Minuten Pause machte, lief das immer nach einem Protokoll ab. Campingstuhl und Sonnenschirm waren für mich vorbereitet, ich wurde massiert, bekam Nasenspray und Lutschtabletten oder Sonnencreme, je nach Tageszeit und Bedarf. Wenn andere Fahrer kurz pausierten, standen sie vor ihrem Auto und wurden nicht so betreut. Das machte den Riesenunterschied aus. Die Erfolgsformel beim RAAM ist ein Drittel physische Fitness, ein Drittel Kopf und ein Drittel Crew!

Zahlen, Daten, Fakten, wie ist es dir ergangen?
Das Rennen wurde am 14. Juni gestartet, meine Zielankunft war am 25. Juni. Es waren 4.880 Kilometer und rund 40.000 Höhenmeter, für die ich 11 Tage, 6 Stunden und 45 Minuten benötigte. Wenn du es genau wissen willst, bin ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 18,07 km/h vom Start bis ins Ziel, inklusive Schlafpausen, gefahren. Insgesamt starteten heuer 33 Teilnehmer, nur 14 kamen ins Ziel. Ich konnte den 6. Platz erreichen.

Fuhren auch Frauen beim RAAM als Einzelstarterinnen mit?
Ja, herausragend die Schweizerin Nicole Reist, die nach 2016 und 2018 auch heuer wieder die Damenwertung gewann und in der Gesamtwertung den dritten Platz belegte. Sie war lange Zeit fast uneinholbar Gesamtführende, drei Stürze machten ihr aber schwer zu schaffen. Trotz eines Schambeinbruchs ist sie erfolgreich ins Ziel gefahren!

Bisher schafften es ja mehr Bergsteiger auf den Gipfel des Mount Everest als Radfahrer ins Ziel beim RAAM?
Stimmt, bisher waren es etwas mehr als 600 Starter, maximal 50% schaffen es jedes Jahr ins Ziel.

Auch heuer war dein wichtigstes Thema neben der Zieleinfahrt beim RAAM eine große Spendensammlung zur Ausrottung der Kinderlähmung. Kennst du hier schon die Spendensumme?
Es sind etwas mehr als 1,2 Millionen Euro zusammengekommen.Es fehlen noch die genauen Zahlen aus Amerika, aber diese Summe wird es werden.

Abschließend die Frage - Was kommt jetzt als Nächstes?
Vor dem Rennen sagte ich, dass ich mich auf den ersten Sonntag nach dem RAAM freue, an dem ich aufstehe und mir überlege, wie ich den Sonntag verbringe. Tatsächlich bin ich aufgestanden und Radfahren gegangen, eine Woche nach dem Rennen! Aktuell habe ich kein wirkliches Ziel, überlege jedoch schon, wieder irgendetwas in diese Richtung zu machen. Ich trainiere munter weiter, es wäre ja schade um die super Form. Ich würde das RAAM erneut bestreiten, wenn ein Sponsor mir 50.000 Euro bietet und die Crew nochmals dabei ist. Ansonsten sind Planung und Aufwand einfach zu extrem.


Tiroler Finisher beim RAAM:
Hansjörg Franz 2000
Franz Venier 2002
Wolfgang Mader 2012
Kurt Matzler 2022

Während Venier, Mader und Matzler überregional bekannte und verehrte Ausdauersportgrößen sind, war das Antreten von Hansjörg Franz eher ein Zufall: Im Jänner 1999 wurde Franz Wiener Snowboardmeister. Bei der anschließenden feucht-fröhlichen Feier wollte man den Tiroler motivieren, Snowboard-Profi zu werden. Woraufhin Franz behauptete, es in jeder Sportart an die Spitze schaffen zu können. Da er im Snowboarden und Klettern bereits sehr erfolgreich war, fiel die Wahl auf Radfahren und das RAAM. Die Wette stand. Am Tag danach, als sich die alkoholischen Nachwirkungen der Siegesfeier verzogen hatten, startete Franz sein Trainingsprogramm in der für ihn neuen Sportart. Eine erste Ausfahrt auf einem alten Francesco Moser Rad von Wien nach Tulln zeigte rasch die Grenzen auf, Franz musste mit Schmerzen abgeholt werden. Nach 1,5 Jahren autodidaktischer Vorbereitung und teilweise 24-stündigen Einheiten am heimischen Ergometer startete und beendete Franz 2000 das RAAM. „Unter dem Radar der Wahrnehmung als 13. von 14 oder 15 Finishern“, wie er heute noch lacht.

 

Text: Bernhard Schösser
Fotos: Florian Phleps, Hubert Siller