Es gibt (zum Zeitpunkt unseres Interviews am 07. Mai) in Europa einige Langzeittrainer im schnelllebigen Trainergeschäft in den diversen Fußballligen: Christian Streich (SC Freiburg, seit 2012), Diego Simeone (Atlético Madrid, seit 2011) oder Rekordhalter Frank Schmidt (1. FC Heidenheim, seit 2007). Zu diesen illustren Namen gesellt sich Thomas Silberberger, immerhin seit 2013 der Trainer der WSG Tirol. Streich und Silberberger beenden mit Saisonende die Tätigkeit bei ihren Vereinen. Grund genug, einen nach dem vorzeitig geschafften Klassenerhalt sichtlich entspannten Thomas Silberberger nochmals zu einem ausführlichen Gespräch zu bitten.
Thomas, du warst ja als Spieler in der österreichischen Bundesliga beim FC Tirol, GAK und Austria Salzburg tätig, in der 2. Liga bei Wörgl und Kufstein aktiv. In Kufstein hast du dann von 2007 bis 2013 deine Trainerkarriere gestartet.
Ja, richtig. Wörgl ist immer noch mein Stammverein. Ich bin ja halber Wörgler und halber Naviser. Ich war früher sehr oft in Navis, wobei, da war ich eher unglücklich, da die einzig gerade Fläche der dortige Fußballplatz ist. Dieser lag jedoch 5 Kilometer vom Haus meiner Großeltern entfernt. Ausschlaggebend für mein fußballerisches Interesse war mein Onkel Conny Plautz, der ehemalige FIFA Schiedsrichter. Da die Familie Bergbauern waren, halfen mein Bruder und ich fast immer in Navis in den Sommerferien mit und da hat mein Onkel Conny mich mit dem Fußballvirus infiziert, scheinbar unheilbar …!
Du bist seit 01. Juli 2013 Trainer in Wattens, wie beurteilst du in dieser Zeit die dortige Entwicklung?
Wenn ich ehrlich bin, es war fantastisch. Als ich Wattens übernahm, war ein anderer Vorstand tätig. Die damalige Prämisse war: „Wenn du Zweiter in der Regionalliga wirst, ist es auch ok“. Ich habe den Verein auf Platz 4 übernommen. Kurz darauf verstarb völlig überraschend Robert Auer, der sportliche Leiter. Stefan Köck wurde sein Nachfolger. Dank des enormen Tempos der damals ebenfalls neuen Präsidentin Diana Langes durften wir den Verein professionalisieren.
Fünf Jahre mit der WSG in der österreichischen Bundesliga, das war für dich als Trainer vermutlich ein riesiger Stress?
Es war die gesamte Zeit ein Riesenstress. 2016 stiegen wir von der Regionalliga in die 1. Liga auf, die damals eine vollprofessionelle 10er Liga war. So mussten wir 2016 auf einen Profibetrieb umrüsten, 2019 sogar auf eine GmbH, um die Lizenz zu erhalten. Es waren herausfordernde Jahre, wir mussten alles ändern: Die Trainingszeiten wurden umgestellt. Plötzlich wurden von unseren Assistenztrainern Lizenzen gefordert. Robert Wazinger, unser damaliger Co-Trainer, arbeitete bis um 15.30 Uhr bei Swarovski, somit konnten wir ihn nicht mehr weiter engagieren, da die Profimannschaft nicht erst um 16.00 Uhr trainieren konnte. Das waren einschneidende Veränderungen, die sehr viel Fingerspitzengefühl erforderten. Das in einem Verein, der 20 Jahre vorher in einem Tiefschlaf gelegen war, in einem künstlichen Koma! Jeder sagte damals: „Regionalliga, alles ist toll!“
Jetzt ist es ja so, dass du in Wattens als Cheftrainer nebenher noch ganz andere Aufgaben zu erledigen hast als ein Trainer eines anderen österreichischen Bundesligaklubs. Ich möchte da Salzburg mal ganz bewusst außen vorlassen!
Klar, da gab es eine Menge Sachen! Da ich mit Stefan Köck zusammen anfänglich der einzige hauptberuflich Tätige war, bekamen wir alles mit: Kantine, Angelegenheiten mit der Marktgemeinde, Platzeinteilung und vieles mehr. Wir mussten uns als Profimannschaft mit Nachwuchsvereinen den Platz teilen. So etwas gibt es bei anderen Profiklubs nicht. Zu Beginn durften wir nur einmal pro Woche in die Kraftkammer gehen, jetzt, seit dem Profibetrieb, ist das täglich möglich. Oder das Thema „Halle“: Wenn wir einen Wintereinbruch haben und ein halber Meter Schnee am Rasen liegt, können wir oft nicht in die Mehrzweckhalle in Wattens, da diese belegt ist. Dazu kam die Organisation von Auswärtsfahrten, somit jede Menge Dinge, die es zu erledigen galt.
Was war ausschlaggebend für dich, deine Trainertätigkeit in Wattens mit Ende dieser Bundesligasaison zu beenden?
Ich habe es schon mehrfach gesagt: Es ist leider perspektivenlos. Mit jedem Saisonende verlassen die Leihspieler den Verein, du startest im Sommer mit einer komplett neuen Mannschaft, somit kannst du nie auf etwas Bestehendes aufsetzen. Dazu kommt die triste Stadionsituation, denn hier in Wattens ist das Stadion nicht bundesligatauglich. In Innsbruck ist das Tivolistadion bei unseren Heimspielen fast leer. Somit haben wir jedes Spiel gefühlt ein Auswärtsspiel. Wenn es so weiter geht, muss der logische Absteiger demnächst Wattens heißen. Was mir sehr leid tut, denn es hängen 10 bis 15 Jobs in der Geschäftsstelle daran. Die Profi-Fußballer ziehen weiter, doch diese Leute verlieren ihren Job! Für mich war es eine langwierige Entscheidung. Ich werde in Zukunft, wie andere Trainer auch, einen 2-Jahresvertrag annehmen. Natürlich werde ich nie wieder einen Verein so ins Herzu schließen wie Wattens, einen Verein, den ich selber mitentwickelt habe. Dafür bin ich sehr dankbar!
Themenwechsel zur Europameisterschaft 2024, wie siehst du die Chancen unseres Nationalteams, wer sind für dich die Favoriten?
Unabhängig von den aktuell verletzten Nationalspielern glaube ich, dass wir mit Frankreich, Holland und Polen die schwerste Gruppe haben. Das Bekenntnis von Ralf Rangnick zum Nationalteam, denke ich, hat dem Team nochmals einen Push gegeben. Unser aktueller Spielstil ist auch für Frankreich und Holland unangenehm. Es wird gegen diese zwei Teams auf die Tagesform und die spielentscheidenden Situationen ankommen. Ich bin überzeugt, dass wir die Gruppenphase überstehen werden. Meine Favoriten sind Frankreich, Deutschland, England und Spanien, somit die üblichen Verdächtigen. Wobei die beiden Erstgenannten meine Hauptfavoriten sind.
Du hast mit Ralf Rangnick das Thema FC Bayern München bereits indirekt angesprochen. Seit Wochen holen sich die Bayern einen Korb nach dem anderen bei ihrer Trainersuche ab, so auch mit Rangnick. Wie nimmst du das als Trainer wahr?
Nun, die Misere hat bereits letztes Jahr mit der völlig unnötigen Entlassung von Julian Nagelsmann begonnen. Thomas Tuchel halte ich für einen hervorragenden Trainer, doch es ist mit dem Rauswurf von Kahn und Salihamidžić der komplette Umbruch weitergegangen. Nun war man nicht vorbereitet, dass es unter Tuchel nicht so läuft. Wenn ich ehrlich bin und darüber nachdenke, wer die Bayern trainieren kann, fallen mir nicht viele Namen ein. Doch ich bin überzeugt, es wird ein Sensationstrainer werden.
Hypothetische Frage: Wenn dich jetzt Uli Hoeneß vom Tegernsee anrufen würde und sagt „Komm zu uns“ – was würdest du dir denken?
Nun, erstens würde ich das für einen Scherzanruf halten und nicht glauben, dass es Hoeneß ist. Zweitens würde ich ihn fragen, für welche Position. Denn bei den Bayern verdient der Zeugwart mehr als der Cheftrainer in der österreichischen Bundesliga. Nein, das ist völlig utopisch, aber spannend zu beobachten, was aktuell in Bayern passiert. Wobei ich sagen muss, wir waren letzten Montag mit dem Trainerteam und der Geschäftsstelle der WSG am Tegernsee im Hofbräuhaus. Also, wenn mich jemand vom Tegernsee anrufen würde, wäre mein erster Gedanke, dass wir irgendetwas nicht bezahlt hätten, denn wir waren den ganzen Tag dort und haben eine ordentliche Zeche aufgestellt!
Zum Abschluss ein Word-Rap. Kurz und knackig – 10 Fragen!
Gendern: Schwieriges Thema, für mich übertrieben, wobei es schwierig ist, für jeden das Passende zu finden.
Teuerungen: Der Staat muss sich etwas einfallen lassen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht komplett auseinander, die Mittelschicht fällt irgendwann weg.
Klimakleber: Das Thema wird richtig heiß, wenn mal etwas passieren sollte, wenn jemand in die Menge rast oder es einen Auffahrunfall mit Todesfolge gibt. Man merkt leider, dass die Hemmschwelle der Menschen immer niedriger wird!
Musik: Als Sohn eines 35 Jahre lang tätigen Kapellmeisters und zwangsbeglücktes Mitglied in der Wörgler Stadtmusik höre ich fast alles, außer Rap, dem kann ich nichts abgewinnen. Meine Favoriten sind die Songs der 70er und 80er Jahre, so wie sie auf Radio Tirol gespielt werden. Ich kann aber auch gut mit Volksmusik und Blasmusik leben.
Ausgleichssport: Radfahren, Skifahren, Berggehen
Lieblingstrainer: Thomas Tuchel
Wo siehst du dich beruflich in 10 Jahren: Kurz vor der Pension, weil ich in die Hacklerregelung falle (lacht), nein, schwierig, sehr wohl noch im Fußball-Business.
Lieblingsgericht: Pasta in allen Varianten
Lieblingsurlaubsziel: Süden
Politik: Kaum mehr eine Partei hat ein Programm, jeder versucht, das Programm des anderen zu verhindern. Wenn ich ehrlich bin, habe ich Angst vor der Zukunft. Nicht vor meiner, sondern vor der meiner Enkel!
Danke für deine tolle Arbeit, Thomas und alles Gute weiterhin!
Hier kannst du das Interview mit Thomas Silberberger von 2022 lesen.
Text und Fotos: Bernhard Schösser