5 nach 12! Tirols Eventbranche in Coronazeiten

Fünf nach Zwölf?

„Als erste geschlossen, als letzte offen!“ Dieser Spruch trifft auf die gesamte österreichische Veranstaltungsbranche zu. Daher hatte man Mitte Juni unter dem Motto „Ohne uns“ auf dem Heldenplatz in Wien protestiert und Unterstützungspakete von der Regierung gefordert.

Durch den Stillstand seit Mitte März sei es „5 nach 12“ für die Branche, formulierte es Judy Emrich von „Ohne uns“ stellvertretend für die 1.500 in der Initiative vertretenen Unternehmen. „Wir brauchen spezielle Unterstützungspakete für unsere gesamte Branche.“ Stiletto Stohl, Initiator der IG VeranstaltungstechnikerInnen, erinnerte daran, dass die Branche zu den Nettosteuerzahlern gehöre und keine Geschenke, sondern gezielte Hilfen und Erleichterungen bei der Bewältigung der Krise brauche: „Wir brauchen keine 600 Mio. Euro geschenkt für 1.000 Arbeitsplätze wie bei der AUA!“.

Wolfgang Ambros meldete sich leicht verkühlt per Videozuspielung aus Tirol und erklärte sich „zu 100 Prozent solidarisch“. Willi Resetarits alias „Ostbahn Kurti“, der mit Gert Steinbäcker (STS) einen gemeinsamen Solidaritätsauftritt ablieferte, drückte das etwas drastischer aus: „Ohne euch kenn’ ma scheißn geh’n!“

Die heimische Eventbranche ist sehr heterogen und setzt sich überwiegend aus EPU, Klein- und Mittelunternehmen zusammen, die in den Bereichen Veranstaltungstechnik, Messebau, Catering, Security, Logistik, Agenturen, Locations, Personalbereitstellung und in vielen weiteren Unterbereichen tätig sind. Gemeinsam erwirtschaftet man laut einer IHS-Studie aus dem Jahr 2017 eine jährliche Wertschöpfung von 8,9 Milliarden Euro und sichert 140.000 Arbeitsplätze. Gleichzeitig zeigt eine aktuelle Branchenumfrage, dass über 90 Prozent der Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt oder gekündigt wurden, die geschätzten Umsatzverluste bis Jahresende addieren sich zu einem dreistelligen Millionenbetrag.

Die Unternehmen sehen, dass vor allem der Hotellerie, der Gastronomie und dem Tourismus, welche in einer engen Verbindung zur Veranstaltungswirtschaft stehen, geholfen wird und fragen sich, wann nun die versprochene Unterstützung für die Veranstaltungswirtschaft kommen?

Branche und Kunden sind verunsichert – wo bleiben die Antworten? Es gibt in der aktuellen Lockerungsverordnung eine Menge Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten. Auch das kolportierte Ampelmodell birgt eine Vielzahl von Stolpersteinen im Veranstaltungssektor. Nicht nur die Branche selbst, sondern viele Kunden sind aufgrund der derzeit unklaren und gleichheitswidrigen Gesetzeslage massiv verunsichert und daher nicht bereit, wieder Veranstaltungen abzuhalten oder zu besuchen.

Wie sieht nun die aktuelle Situation in Tirol aus?
Dazu befragte FREIZEIT-TIROL verschiedene Tiroler Firmen.

Wolfgang Maass, Inhaber von Maass Veranstaltungstechnik in Landeck, fasst die Lage der Tiroler Technikverleihfirmen zusammen: „Wir alle haben aktuell maximal 20 Prozent Auslastung. Das erreichen wir unter anderem mit öffentlich finanzierten Kulturveranstaltungen wie Platzkonzerten des Tourismusverbands“. Maass selbst arbeitet jetzt oft in der Schweiz auf Klassikfestivals im Engadin. Auch dort sei man mit 1,5 Metern Mindestabstand und Maske im wahrsten Sinn des Worts weit weg von der Normalität. Anstatt wie sonst üblich in Kirchen, finden diese Konzerte nun in Reithallen und Kongresszentren statt. Markus Klotz und Günther Dorfer, die Geschäftsführer der Kundler Firma Ganslhaut Event-Solutions, setzen mit dem „Mit Abstand Festival“ auf eine Eigenproduktion, gemäß dem Motto „Wir haben das Equipment lieber draußen als im Lager!“.

Auch Ali Bregenzer, Inhaber der Roppener Firma Stageworks, macht aus der Not eine Tugend: Mit seiner Band „Mr. Nice“ tourt er seit Anfang Juni auf einem zur Bühne umgebauten Anhänger durch die Lande und spielt mobile Konzerte. Das Equipment ist, mit Ausnahme der Hochtöner, fix im Anhänger verankert. So ist es möglich in einer Stadt gleich drei oder vier Stopps ohne lange Aufbauzeiten zu absolvieren. Alexandria Gieringer, Prokuristin bei Murdock Event & Media in Kitzbühel, ortet eine Menge ungeklärter Fragen: „Wir machen normalerweise die Beschallung und Sideevents beim Hahnenkamm-Rennen. Bis jetzt weiß niemand, wie das kommende Jahr aussehen wird. Im Gegensatz zu Handel, Hotellerie oder Gastronomie sind in der Eventbranche ja lange Vorlaufzeiten erforderlich, aktuell plant niemand Großevents“. So seien auch bei der Kitzbühler Firma sämtliche Großaufträge weggebrochen oder von den Kunden auf 2021 verschoben worden. Durch ein ausgefeiltes und hochqualitatives Live-Streamingangebot können momentan neben Platzkonzerten zumindest einige zusätzliche Umsätze erwirtschaftet werden.

Auf Seiten der Vermieter skizziert Werner Verocai, Prokurist der Congress-Messe Innsbruck, die momentane Lage in seinem Haus: „Durch die aktuell vorgegebenen Richtlinien erreichen wir in allen unseren Räumen eine Kapazität von 50 Prozent. Somit können wir nationale Tagungen bis maximal 500 Teilnehmer abhalten“. Der internationale Tagungsmarkt sei momentan auf null heruntergefahren, bereits gebuchte Veranstaltungen auf mindestens ein Jahr verschoben. Für das Frühjahr 2021 will man daher versuchen, Südtirol und Süddeutschland wieder in das Tagungsgeschäft zu integrieren. Mit einer „Innsbrucker Herbstmesse Light“, die von 07. bis 11. Oktober stattfinden soll, wird der eigene Messeneustart vollzogen. Vorher blicken die Verantwortlichen mit großer Spannung nach Dornbirn und auf die Erfahrungen mit der dortigen Herbstmesse im September. Auch die sonst im Kongresshaus und den Messehallen stattfindende Ballsaison wird sich, wenn überhaupt durchführbar, radikal ändern müssen: Da Tanz und Disco aktuell nicht möglich seien, rechnet Werner Verocai stattdessen mit einer Art Abschlussfeier mit künstlerischen Einlagen. Im Bereich der Vermietung für Firmenveranstaltungen (B2B) herrsche momentan ebenfalls kompletter Stillstand. Der Grund: Man wolle seine Kunden nicht gefährden, oder im Fall eines Corona Vorfalls dann einen Imageschaden und eine Sperre des Unternehmens riskieren. Das bestätigt auch Andreas Ablinger vom Salzraum Hall, der im B2B -Bereich dieselben Erfahrungen macht.

Was sagen nun die Tiroler Veranstalter?

Christian Santer, Leiter der Sport- und Veranstaltungszentren in Telfs, hatte schon während des Lockdowns sehr schnell für die Kuppelarena ein Autokinoformat konzipiert, ebenso wollte man in Telfs dort Konzerte ohne Publikum abhalten und via Livestream übertragen. Die Lockerungen im Juli hätten die Telfer dann jedoch dazu veranlasst, Konzerte bis zu 200 Besucher im Rathaussaal und bis zu 250 Besucher am Wallnöfer-Platz als Open Air anzubieten. „Wir möchten lieber vor 200 Menschen als vor 60 Autos spielen!“, so Santer. Selbiges gibt es in Innsbruck: Das Team der Olympiaworld in Innsbruck rund um Matthias Schipflinger startete mit einer Mischung aus Konzerten und Autokino. Zusammen mit dem Metropol Kino bietet man noch bis Ende August Autokino auf der Außenfläche der Olympiahalle an. In Schwaz hat Peter Lindner, Tirols Großveranstalter, bis mindestens November alle Veranstaltungen auf nächstes Jahr verschoben. Ein Großteil seines Teams sei noch in Kurzarbeit. Als Veranstalter, der das finanzielle Risiko trägt, benötige er mindestens 70 Prozent Auslastung, was aktuell unmöglich erreichbar sei. Die bisher ohnehin schon hohen Auflagen für die Veranstalter seien durch die Corona-Krise weiter verschärft und unerfüllbar geworden. „Es braucht eine Normalisierung, keine neue Normalität!“, sieht Lindner die Lage kritisch. „Aktuell passieren viel zu viele unlogische Sachen ohne schlüssigen Hintergrund, selbst die Expertenrunde, die diese Empfehlungen und Regeln ausgibt, ist sich nicht einig!“. Lindner sieht es für die gesamte Branche als Herkulesaufgabe, wieder zu alter Stärke zurück zu kehren. „Immerhin arbeiten in unserer Branche ja sehr viele Unternehmen und Leute mit, an die offensichtlich überhaupt nicht gedacht wird!“, ärgert sich das Tiroler Veranstalterurgestein.

 

Auch Alexandria Gieringer bemängelt, dass mit zweierlei Maß gemessen wird: „Während bei einer Veranstaltung die Besucher ihre Daten beim Eingang abgeben müssen, vorab der eigens ausgebildete Covid-19 Experte ausführlichste Anweisungen und Regeln für den Veranstaltungsbereich von der Bühne herunter erklärt und alle Anwesenden in vielen Bereichen Mund-Nasenschutz tragen müssen, gelten diese Regeln für die Menschen neben diesem eigens ausgewiesenen Veranstaltungsbereich nicht. So fühlen sich die Besucher verarscht!“. Peter Lindner berichtet ebenfalls von eigenen Erlebnissen: „Zuerst sind alle Leute mit Masken, Abstand und Covid-19 Beauftragtem auf einer Veranstaltung. Anschließend sitzt der Großteil dieser Leute ohne jeden Schutz und Abstand in einem Lokal neben der Veranstaltungslocation und schreit sich wegen der lauten Musik an– wo ist da die Logik?“. Diese unerfüllbaren Auflagen seien schuld daran, dass sich Veranstalter nicht trauen würden, neue Sachen zu machen. Wolfgang Maass trifft den Nagel auf den Kopf: „Die Freibäder und Lokale hier im Tiroler Oberland quellen vor Besuchern über, aber wir sollen bei den Veranstaltungen maximalen Abstand halten!?“.

Wie geht es aktuell den kleinen Konzert-Clubs und Veranstaltungszentren?

Lisi Feichter vom Livestage in der Andechsstraße in Innsbruck hatte mit einer „Cover Night“ am 24. Juli ihren Restart nach dem Lockdown. Passenderweise heißt eine der Bands, die dabei spielten „Black Corona“. „Ich kann indoor bis 100 Leute bei unbestuhlten Veranstaltungen hereinlassen. Das Publikum hält sich sehr diszipliniert an die Vorschriften, bis jetzt hat alles bestens funktioniert“, berichtet sie. Neu ist für sie die Situation, dass es schwierig ist, Bands zu buchen: „Viele Bands meinen, dass die nähere Zukunft ungewiss sei, und sagen deshalb von vorne herein ab. Andere fürchten sich vor Corona, es gibt also auch in der Musikwelt verschiedenste Meinungen!“. Trotzdem startet sie mit „Pogo in the Alps“ am 29. August ein weiteres Punkrock-Spektakel im Livestage.

Zusammenfassend sei erwähnt, dass sich die Aussagen der im Veranstaltungsbereich tätigen Befragten quer durch Tirol gleichen. Zwei Sachen wurden ebenfalls unisono bestätigt: Es fehle an einer gemeinsamen, starken Branchenvertretung, man sei in zu viele, kleine Gruppierungen aufgeteilt. Das ist eine Tatsache, an der die Branche selber schuld sei. Und, etwas überraschend für die Veranstalter: Selbst bei voll konzipierten und durchgeführten Sicherheitsauflagen seien immer noch sehr viele Menschen ängstlich und meiden daher den Besuch einer Veranstaltung. Das sei besonders bei Indoor-Veranstaltungen erkennbar. Trotz allem lebt auch in der vielfältigen Tiroler Veranstaltungsbranche die Hoffnung auf einen halbwegs vernünftigen Herbst und ein besseres 2021. Damit „Licht aus!“ weiterhin nur am Veranstaltungsende gilt und es nicht abseits der staatlich subventionierten und gefeierten Hochkultur endgültig dunkel wird!

Redakteur: Bernhard Schösser

Fotos: Bernhard Schösser/ ohne-uns.at